Lügenbeichte
Stracciatella?«
»Nein. Ich kann jetzt wirklich kein Eis essen. Lass uns zurückgehen, ja?« Ihr Fuß war dicker geworden und tat weh, sie hätte das Bein gern hochgelegt. Und vielleicht war Lou ja inzwischen wieder da!
Zu Hause Stille. Als wäre das Haus in Zellophan verpackt. Thomas war im Büro, Marina wahrscheinlich im Schlafzimmer. Die Tür war zu. Max kam noch mit in ihr Zimmer. Sie legten sich aufs Bett, eng umschlungen. Sie wollte nicht, dass er sie streichelte oder küsste. Sie konnte ihn nur ertragen, wenn er sich nicht bewegte. So lagen sie da. Nichts bewegte sich.
Ich will nicht mehr da rein! Lass mich los! – Mama!!!
21:25
Immer noch keine Spur von Lou. Niemand hatte einen kleinen Jungen gesehen. Die Polizei hatte mit Hundestaffeln den Grunewald durchkämmt und die Krumme Lanke abgetaucht. Suchmeldungen waren im Radio geschaltet, im rbb -Fernsehen und in den Tageszeitungen. Gegen Abend kamen andauernd irgendwelche Nachbarn vorbei und wollten wissen, was los war. Alle sprachen Thomas und Marina Mut zu und versicherten, dass sie die Augen offen hielten, und wollten wissen, was mit Herrn Dittfurth sei. Ihn hatte man am Nachmittag mit einem Polizeiauto abgeholt. Einige hätten ja schon immer geahnt, dass er »Dreck am Stecken« habe, schließlich sei er ja schon mal von der Polizei abgeholt worden, vor ein paar Jahren, wegen Steuerhinterziehung – oder war es wegen eines Plagiats? Hatte er nicht seine Doktorarbeit in Amerika gekauft? Frau Flauser, Tratschtante Nummer eins in der Siedlung, machte sogar Andeutungen, dass Herr Dittfurth bestimmt auch kleine Jungs vernasche. So was traue sie ihm durchaus zu. Josi wusste, was ihr Vater von all dem Gerede hielt, nämlich nichts. Nach einer Weile stellte Thomas die Klingel ab und verschanzte sich wieder in seinem Büro.
Marina hatte starke Kopfschmerzen, kein Wunder, nach einer halben Flasche Whisky. Josi hatte sie nach den abgesägten Absätzen gefragt, aber als sie nur LousDetektivkoffer erwähnte, presste Marina schon die Finger gegen die Schläfe und sagte: »Bitte, Josi, nicht jetzt«, wobei ihre Augenlider flatterten.
Max rief noch einmal an. Seine Stimme war so zärtlich. Er wollte ihr noch Gute Nacht sagen. Er hätte schon wieder Sehnsucht nach ihr, wäre vorhin lieber bei ihr geblieben, aber sie wollte nicht schwach werden, fühlte sich schon allein deswegen schlecht, weil in dieser Situation überhaupt Gelüste aufkommen konnten! Vielleicht war sie ja sexsüchtig wie ihr Vater und es hatte sich vererbt?
Sie schloss die Augen und ließ sich von Max' Stimme streicheln, das war sicherer, als neben ihm im Bett zu liegen.
22:19
Und dann lag sie allein im Bett und hatte auch Sehnsucht nach Max. Sie rief Barbara an. Die war erschüttert, als sie hörte, dass Thomas etwas mit der Toten gehabt hatte. Mit der Toten – wie sich das anhörte!
»Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht«, hatte Barbara gesagt. Sie fand zu jeder Situation den passenden Spruch. Das war Josi schon oft genug auf den Wecker gegangen, besonders, wenn es sie betraf. Der Spruch mit dem Krug war okay, immerhin besser als eine abfällige Bemerkung. Das hätte Josi jetzt nicht ertragen können, auch wenn Barbara ja recht hatte, und das Bild stimmte irgendwie. Papa war gebrochen, zumindest hatte er Risse bekommen. Besser konnte man es gar nichtausdrücken. Josi fand, es stand ihr ganz allein zu, in diesen Rissen herumzubröckeln. Er war ihr Vater – und Lous. Sie wollte auf keinen Fall so werden wie er.
Arme Marina! Es hatte sie böse überrascht, völlig unvorbereitet. Wahrscheinlich hatte sie tatsächlich geglaubt, sie wäre die einzige Frau in Thomas' Leben. Wenn es so was überhaupt gab, dann war es Barbara. Das war Josi jetzt klar. Thomas und Barbara hatten immer noch Kontakt, redeten miteinander und fragten sich manchmal gegenseitig um Rat, obwohl Mama mittlerweile froh war, nicht mehr mit Thomas zusammenzuleben. Seit sechs Jahren war sie nun mit ihrem Estefan zusammen, einem spanischen Koch, der in einem Feinschmecker-Restaurant in Mitte arbeitete und die abgefahrensten Gerichte für Barbara und sie auftischte. Er hatte keine Kinder und sich auch nie als neuer Vater für Josi aufgespielt. Sie war damals gerade elf, als er auftauchte und frischen Wind in die Bude brachte. Josi war zu der Zeit selbst andauernd in irgendwelche Jungs verknallt – Schwärmereien, würde sie es jetzt, im Nachhinein, nennen, die sie von den Problemen in der Familie ablenkten. Thomas sah
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