Luegenbeichte
»Man ist ja so bescheuert, wenn man verliebt ist. Aber soll ich dir mal was sagen? Ich liebe Thomas. Trotz allem. Und er liebt mich.«
»Und was machst du jetzt?« Josi wollte auf keinen Fall Details über ihren vergrößerten Busen hören. Thomas' sexuelle Vorlieben gingen sie nichts an. Allein die Stöckelschuhe sehen zu müssen, war schon schlimm genug. Dass Marina Thomas wirklich liebte, hätte sie jedoch nicht gedacht. Sie war fest davon überzeugt, sie hätte sich Thomas nur deswegen geangelt, weil er so ein attraktiver und erfolgreicher Professor war und dazu noch Kohle hatte! So sah Barbara das ja auch, obwohl sie nicht immer recht hatte, wenn es um Thomas ging. Sie betonte zwar immer, dass Josi sich selbst ein Bild von ihrem Vater machen sollte, aber das war nicht so einfach, wenn man schon vorher die Meinung der Mutter aufgedrückt bekam. Manchmal wünschte Josi sich, schon so erwachsen zu sein, dass sie völlig unabhängig von ihren Eltern sein könnte.
Marina hatte sich wieder gefangen. Sie biss vom Croissant ab und bestellte sich noch einen Espresso.
»Und was machst du jetzt?«, fragte Josi.
»Ich hole ihn da raus und dann fangen wir noch mal ganz neu an.«
Die Bestimmtheit, mit der sie das sagte, ließ keinen Zweifel aufkommen, obwohl es für Josi etwas kitschig klang. »Lass uns neu anfangen« – das sagten die Paare in den Fernseh-Soaps auch.
»Ich lass mich auf jeden Fall nicht scheiden, obwohl mir meine Eltern dringendst dazu raten.« Sie tippte sich mit dem Messer gegen die Stirn. »Die denken, ich sei nur wegen des Geldes und seinem Ansehen mit Thomas zusammen. Meine Mutter hat mich gedrängt, dass ich mich schnell scheiden lassen und eine möglichst hohe Unterhaltszahlung herausklagen soll. Am besten noch das Haus übernehmen. Sich mit Anwälten herumzuschlagen, das wäre der richtige Sport für sie. Aber nicht für mich! Meine Eltern denken gar nicht an mich, sie denken nur ans Geld. Sie waren schon immer so.« Marina war jetzt richtig in Fahrt. »Gestern haben sie ihn noch angehimmelt, den Herrn Professor, und heute lassen sie ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Nur weil die Polizei ihn mitgenommen hat, ist er für sie schon der Mörder.«
»Für dich nicht?«
Marina guckte sie groß an und warf das Croissant auf den Teller.
»Nein! – Für dich etwa?«
»Nein, natürlich nicht. Aber warum hat man seine Zigaretten in der Nähe der Toten gefunden und was hat es mit diesem Anruf auf sich?«
Marina wischte sich den Mund mit der Serviette ab. »Also, nach dem, was ich jetzt alles gehört habe, ist Folgendes passiert: Lilli Sander ist am Samstag zu unsgekommen, um Thomas eine Szene zu machen, aber wir waren gar nicht da. Du warst da. Du hast sie gesehen.«
Josi nickte wieder.
»Ja, und dann hat sie Thomas angerufen und gesagt, sie würde jetzt zur Party kommen und ihm dort eine Szene machen, woraufhin Thomas versucht hat, sie zu beruhigen. Sie wollte unbedingt mit ihm reden. Er sollte zur Bushaltestelle kommen, was er auch tat. Und dort hat er auf sie gewartet und dabei zwei Zigaretten geraucht. – Das waren die Kippen, die die Polizei gefunden hat.«
Und die eine von Max, dachte Josi, der sie kurz vorher in die Bushaltestelle geschnippt hatte.
»Aber Lilli Sander kam nicht.«
»Weil sie schon tot war.«
»Ja. Wahrscheinlich. Das wissen sie noch nicht so genau. Aber ich weiß, dass Thomas kein Mörder ist.«
Josi nickte. Sie konnte jetzt doch nichts mehr essen. »Natürlich nicht«, sagte sie und sagte es gleich noch einmal: »Natürlich nicht!«
Marina nahm Josis Hand. Sie fühlte sich gut an. All die Jahre war Marina ihr fremd geblieben und dann, plötzlich, bei einem gemeinsamen Frühstück, brach der Bann. Warum sind wir nicht schon früher mal frühstücken gegangen, dachte sie. Warum muss immer erst was passieren?
Am Auto verabschiedeten sie sich. »Wir telefonieren, sobald wir etwas Neues erfahren haben, ja?«, fragte Marina.
Josi nickte, umarmte sie. »Ja«, sagte sie. Dann ging sie zur S-Bahn.
Der Herr aber wird mich erlösen von allem Übel und mich retten, in sein himmlisches Reich.
11:12
Der Schlüssel passte nicht mehr. Josi versuchte es noch mal, aber er rutschte wieder ab. Es war der Kreuzberg-Schlüssel, keine Frage, nicht der Zehlendorf-Schlüssel, der kleiner und leichter war und an dessen Ring sie einen dicken, silbernen Quast trug, damit sie den Schlüssel in ihrer Tasche wiederfand. Der Kreuzberg-Schlüssel war eh nicht zu übersehen, daran hing
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