Luegenbeichte
noch ein Durchsteckschlüssel – ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, für die große Haustür unten. Josi versuchte noch einmal, den Schlüssel ins Schloss zu stecken – jetzt ging es. Ihre Finger zitterten leicht, deswegen hatte es nicht gleich geklappt.
Im Flur roch es nach Mamas Parfüm und nach Rosen, die auf einem Marmortischchen in einer Vase standen.
»Josi?« Barbara kam barfuß aus der Küche und nahm Josi in die Arme, hielt sie. Josi schlang die Arme um ihren Hals, sie roch so gut! Mama streichelte ihr über den Rücken. »Ich bin so froh, dass du da bist«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Und dass Lou wieder da ist!«
Josi konnte nur nicken, nichts sagen.
»Hola cariöo«, hörte sie Estefan. Er stand in der Küchentür, mit einem schwarzen Piratentuch um seinem Kopf. Er kam und küsste sie zur Begrüßung auf die Wangen. »Qué tal?«
»Okay«, sagte Josi.
»Guck mal, ich probiere gerade ein neues Rezept aus: Jakobsmuscheln mit Safran und rohem Thunfisch an Maracuja-Soße.« Er wollte sie in die Küche lotsen.
Josis Magen krampfte sich zusammen. »Oh, danke. Aber ich kriege jetzt nichts runter.«
Sonst kostete sie gern seine neuen Kreationen, die er zuerst bei Barbara und ihr für sein Restaurant ausprobierte, und sie konnte ihm auch ganz genau sagen, was ihr schmeckte und was nicht. Er schätzte ihre Meinung sehr, aber heute war wirklich nichts zu machen. Sie setzte sich mit Barbara an den Küchentisch – eine Holztür auf zwei verschnörkelten Metallständern, an der zehn Personen Platz hatten. Im Gegensatz zu Thomas hatte Barbara immer viele Gäste.
Der Tisch war zur Hälfte mit Schüsseln, Tellern und Zutaten vollgestellt, auf der anderen Hälfte stapelten sich Bücher – Leseexemplare, von denen Barbara so viele wie möglich verschlang, bevor sie welche für ihren Buchladen bestellte und verkaufte. Die Leute kamen von überall in ihren kleinen Laden, Ecke Heinrichplatz, um mit ihr über Literatur zu reden. Nur deswegen, meinte sie, könnte der Laden überleben.
Es tat gut, hier bei Mama in der Küche zu sitzen, während Estefan den Thunfisch schnitt. Am liebsten hätte sie den Kopf auf den Tisch gelegt; er war so schwer.
»Möchtest du auch einen Espresso, Josi?« Barbara stand auf und schraubte die Kanne auf.
»Ja, gern«, sagte sie. »Ich bin so müde. Hab die letzten Nächte echt nicht viel geschlafen.«
»Das war ja ein Schreck, mein Gott! Wie geht es Lou denn jetzt?«
»Och, dem geht es gut.«
»Und wo ist er nun gewesen?« Barbara stellte die Kanne auf die Flamme.
Josi zuckte die Schultern. »Darüber redet er nicht. Jedenfalls nicht richtig. Er sagt, er wäre bei einem alten Mann gewesen, einem mit Glatze. Zuerst hat die Polizei gedacht, es wäre Herr Dittfurth gewesen, einer aus der Nachbarschaft, so ein Oldtimer-Liebhaber. In seiner Einfahrt hatte man Herrn Rufus gefunden.«
»Herr Rufus?«, fragte Estefan.
»Ja, das ist Lous Detektiv, ein kleiner Spielzeug-Roboter. Ohne Herrn Rufus geht Lou nicht aus dem Haus.« Josi holte Espressotassen.
»Seltsam«, sagte Barbara. »Aber Hauptsache, er ist wieder da und hat nichts Schlimmes erlebt. – Hat er doch nicht, oder?«
»Nein, die Kinderärztin hat keine Schäden festgestellt. Die Polizeipsychologin wohl auch nicht. Aber sie haben Rückstände von irgendwelchen Beruhigungstabletten gefunden. Deshalb kann er sich nur bruchstückhaft erinnern. Die Psychologin kommt heute noch mal und versucht, ein Phantombild mit ihm zu erstellen.«
»Furchtbar, was man Kindern alles antut, und sie können sich nicht wehren.«
Josi wusste, worauf Barbara anspielte – sie bekam auch schon wieder diesen fürsorglichen »Robert-Blick«. Wie oft war sie damals mit Robi bei einer Kinderpsychologin gewesen. Die erste Zeit, als er in die Familie kam, hatte er ja nicht mal geredet. Josi konnte sich noch daran erinnern, auch, wie enttäuscht sie gewesen war. Sie hatte sich doch so auf einen großen Brudergefreut! Alle ihre Freunde waren Einzelkinder und hatten nicht mal einen kleinen Bruder. Und sie sollte sogar einen großen bekommen! Aber als Robert dann da war, hatte sie sich manchmal gewünscht, ihre Eltern hätten einen anderen Bruder ausgesucht.
»Und was ist nun mit dieser Leiche?«, fragte Barbara. »Was für eine schreckliche Geschichte, die dann auch noch in derselben Nacht passiert und gleich nebenan.« Die Espressokanne fing an zu blubbern. Sie stand auf.
»Es ist noch schlimmer als nur das …«
Barbara fuhr herum. »Was
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