Lügennetz: Thriller (German Edition)
atemlos an, erwartete, er würde sagen, es wäre alles vorbei.
» Es ist nun Zeit « , sagte er mit müdem Gesicht. » Mr Harris wird hereingebracht. «
Ich hatte Mühe, mich genau darauf zu konzentrieren. Justin stand kerzengerade da, die Schultern gestrafft, die Augen geradeaus gerichtet wie ehemals als Soldat auf der Parade. Er wurde von zwei Wachen begleitet sowie von einem in weißer Jacke gekleideten Pfleger und einer hageren Frau mittleren Alters in einem Hosenanzug der Marine, die, wie ich annahm, die Ärztin war. Justin ließ sich nichts anmerken, als sich seine Mutter erhob und ihre Hand an die Scheibe legte. Er ging gehorsam zur Rolltrage, legte sich hin und breitete die Arme aus, den Blick starr nach oben gerichtet wie ein Zauberer kurz vor einem besonders schwierigen Trick.
In der Stille klangen die Schritte des Pflegers, der zur Rolltrage ging, wie die langsamen Schläge auf einer kleinen Trommel. Als er eine Minute später zurücktrat, steckten die Kanülen in Justins Armen.
Der Zeiger der Uhr an der Wand wanderte unaufhörlich weiter. Als er auf eine Minute vor zwölf sprang, legte einer der Reporter seine Hand über den Mund, als würde er sich gleich übergeben. Justin hielt den Blick stur auf einen Punkt oberhalb der Scheibe gerichtet.
Totenstille legte sich über den Raum. Dann blinkte die Uhr auf.
Es war zwölf.
Die Injektion wurde gestartet. Eine gelbliche Flüssigkeit huschte durch den IV -Schlauch auf Justins Arm zu. Ich konnte meinen Blick nicht davon abwenden.
Alle Anwesenden schnappten gleichzeitig nach Luft, als die Flüssigkeit Justins Arm erreicht hatte und er seine Augen schloss.
» Nein « , flüsterte ich.
Dann verschwamm alles vor meinen Augen, und ich kippte nach vorn.
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Ich saß noch immer nach vorn gebeugt da und drohte ohnmächtig zu werden, als ein ohrenbetäubend lauter Summer in der Hinrichtungskammer ertönte.
Der Pfleger rannte hinter die Abtrennung, während die Ärztin auf Justin zurannte und die Kanülen aus seinen Armen riss. Ein dünner Strahl der gelblichen Flüssigkeit lief auf den Boden. Der Pfleger kehrte zurück und gab den Wachen ein Zeichen, woraufhin diese, gefolgt von den Aufsehern und der Ärztin, die Rolltrage rasch aus dem Raum schoben.
» Was ist da drin los? « , schimpfte Charlie und hämmerte gegen die Scheibe.
Dreißig Sekunden später wurde die Tür zum Beobachtungsraum aufgerissen. Mitchner trat ein. » Es ist alles in Ordnung « , keuchte er mit rotem Gesicht und schwitzend. » Die erste Flüssigkeit war nur das Schmerzmittel. Die zweite Flüssigkeit wurde noch nicht verabreicht. Justin hat nur das Schmerzmittel erhalten. Er wird keine Probleme haben. «
Beide Reporter sprangen auf und begannen gleichzeitig zu johlen.
» Das kann doch nicht wahr sein « , sagte Charlie neben mir. » Dieser Staat führt seine Hinrichtungen genauso durch wie seine Wahlen. «
» Bitte bewahren Sie Ruhe. Ich habe das hier gerade von Gouverneur Scott Stroud erhalten. « Mitchner hielt ein Blatt Papier hoch.
» ›Heute habe ich beschlossen, die Hinrichtung von Justin Harris, Insasse des Todestrakts von Florida, für sechs Monate aufzuschieben‹ « , las Mitchner vor. » ›Mit diesem Aufschub erhalten die Staatsanwaltschaft und die mit diesem Fall betrauten Ermittler Zeit, um sich zusammenzusetzen und alle neuen Informationen zu analysieren, die dem Ausschuss für Gnadenerlasse vorgelegt wurden. Nach einer ersten Durchsicht der vorgelegten Informationen und nach der Beratung mit dem Generalstaatsanwalt und dem Ausschuss kann ich einer Vollstreckung des Todesurteils nicht zustimmen, solange die neuen Informationen nicht öffentlich gemacht und eingehend geprüft wurden‹. «
Mitchner stieß kräftig die Luft aus. » Das war’s « , endete er.
Charlie ließ sich auf einen der Klappstühle fallen und den Kopf zwischen seine Beine sinken. » Jetzt sagen Sie mir nur noch, wie Justin das jemals überstehen soll. «
» Die zuständige Ärztin hat gesagt, sein Puls sei völlig in Ordnung. Er muss das Zeug nur rausschlafen. Er wird jetzt in die Krankenabteilung gebracht. «
Charlie stieß die Luft aus, richtete sich auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. Ich ging zu ihm und umarmte ihn.
» Dann haben wir es geschafft? « , flüsterte er, als könnte er es kaum glauben. » Wir haben es tatsächlich geschafft? «
Wir gingen zu Fabiana und Justins Mutter und legten alle die Arme umeinander, während die Reporter aufgeregt telefonierten.
»
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