Lullaby (DE)
Schwiegermutter, zwei Gaskamine und spät abends im Spiegel des Schminkzimmers das Gesicht eines Mannes, der sich mit Barbituraten das Leben genommen hat. Danach eine Halbgeschossranch mit Gaszentralheizung, tiefer gelegter Sitzecke und den wiederkehrenden Phantomschüssen eines Doppelmordes, der sich vor über zehn Jahren zugetragen hatte. Das alles steht in ihrem dicken Terminkalender, der in rotes Leder oder etwas Ähnliches gebunden ist. Darin verzeichnet sie alles.
Sie nimmt noch einen Schluck Kaffee und sagt: »Wie nennen Sie diese Brühe? Schweizer Armeemokka? Kaffee, der nicht nach Kaffee schmeckt, ist keiner.«
Mona tritt mit verschränkten Armen in die Tür und sagt: »Was?«
Und Helen sagt: »Sehen Sie sich mal« – sie schiebt ein paar Datenblätter auf ihrer Kladde zusammen –, »sehen Sie sich mal Willmont Place Nr. 4673 an. Ein Haus im holländischen Kolonialstil mit Wintergarten, vier Schlafzimmern, zwei Bädern und schwerem Mord.«
Der Polizeifunk sagt: »Roger?«
»Tun Sie nur das Übliche«, sagt Helen, schreibt die Adresse auf einen Notizzettel und hält ihn ihr hin. »Keine Bedenken zerstreuen. Keinen Salbei verbrennen. Nichts exorzieren.«
Mona nimmt den Zettel und sagt: »Bloß die Vibrations checken?«
Helen zerteilt mit einer Hand die Luft und sagt: »Ich will nicht, dass irgendjemand durch irgendwelche Tunnel auf irgendein Licht zugeht. Diese Freaks sollen hier bleiben, genau auf dieser astralen Ebene hier. Punkt.« Sie blickt auf ihre Zeitung und sagt: »Zum Totsein haben sie noch eine ganze Ewigkeit. Dann können sie noch mal fünfzig Jahre in dem Haus rumhängen und mit Ketten rasseln.«
Helen Hoover Boyle starrt das blinkende Wartelicht an und sagt: »Was haben Sie gestern in dem spanischen Sechs-Schlafzimmer-Haus gespürt?«
Und Mona verdreht die Augen. Sie schiebt die Kinnlade vor, pustet einen Seufzer senkrecht in die aufflatternden Haare vor ihrer Stirn und sagt: »Dort ist definitiv Energie zu spüren. Eine subtile Präsenz. Aber der Grundriss ist wunderbar.« Eine schwarze Seidenschnur schlingt sich ihr um den Hals und verschwindet im Mundwinkel.
Und unsere Heldin sagt: »Scheiß auf den Grundriss.«
Vergiss diese Traumhäuser, die du alle fünfzig Jahre nur einmal verkaufst. Vergiss diese Kuschelnester. Und scheiß auf subtil: kalte Stellen, seltsame Ausdünstungen, reizbare Haustiere. Was sie brauchte, war Blut, das von den Wänden troff. Eiskalte unsichtbare Hände, die Kinder nachts aus dem Bett zerrten. Rote Augen, die im Dunkeln am Fuß der Kellertreppe leuchteten. Das und ein anständig wirkendes Äußeres.
Der Bungalow, Elm Street Nr. 521: vier Schlafzimmer, Originalausstattung und Schreie auf dem Dachboden.
Das Normandie-Haus Weston Heights Nr. 7645: Bogenfenster, Anrichteraum, bleiverglaste Schiebetüren und eine Leiche, die mit zahlreichen Stichwunden auf dem Flur in der oberen Etage umgeht.
Das Ranchhaus Levee Place Nr. 248 – fünf Schlafzimmer, viereinhalb Bäder, gemauerte Veranda: Dort wird seit einer Abflussreinigervergiftung regelmäßig Blut an die Wand des Elternschlafzimmers gehustet.
Immobilienmakler sprechen in solchen Fällen von belasteten Häusern. Das sind Häuser, die nie verkauft werden, weil niemand sie gern vorführt. Kein Makler will jemanden dorthin einladen und das Risiko eingehen, dort auch nur eine Minute allein zu verbringen. Andere Häuser dieser Art werden alle sechs Monate immer wieder aufs Neue verkauft, weil niemand dort leben kann. Eine ganze Reihe dieser Häuser, zwanzig oder dreißig mit Exklusivvertrag, und Helen brauchte nicht mehr den Polizeifunk abzuhören. Sie könnte aufhören, die Todesanzeigen und Polizeiberichte nach Morden und Selbstmorden zu durchforsten. Sie müsste Mona nicht mehr losschicken, um jeder möglichen Spur nachzugehen. Sie könnte einfach die Beine hochlegen und ein Huftier mit fünf Buchstaben suchen.
»Außerdem können Sie meine Sachen aus der Reinigung abholen«, sagt sie. »Und besorgen Sie anständigen Kaffee.« Sie zeigt mit dem Kuli auf Mona und sagt: »Und aus Respekt vor professionellem Verhalten: Lassen Sie diese kleinen Rastadinger zu Hause.«
Mona zieht an der schwarzen Seidenschnur, bis ihr ein Quarzkristall aus dem Mund ploppt, glänzend und feucht. Sie bläst darauf und sagt: »Das ist ein Kristall. Mein Freund – Oyster – hat mir den geschenkt.«
Und Helen sagt: »Sie haben einen Freund, der Oyster heißt?«
Und Mona lässt den Kristall fallen, sodass er vor ihrer
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