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Lullaby (DE)

Lullaby (DE)

Titel: Lullaby (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Lärm umzingelt.
    Nach der Arbeit war ich noch in einem Geschäft. Der Mann hinter der Kasse blickte auf, als ich hineingehumpelt kam. Ohne den Blick von mir abzuwenden, griff er unter den Tisch, nahm etwas in einer braunen Papiertüte heraus und sagte: »Doppelt eingetütet. Das wird Ihnen gefallen.« Er stellte es auf den Tisch und tätschelte es. Das Päckchen ist halb so groß wie ein Schuhkarton. Es wiegt weniger als eine Dose Thunfisch.
    Er drückte ein, zwei, drei Knöpfe an der Kasse, und als Preis erschien einhundertneunundvierzig Dollar. Er sagte: »Nur damit Sie sich keine Sorgen machen: Ich habe die Tüten fest mit Klebeband verschlossen.«
    Für den Fall, dass es regnen sollte, steckte er das Päckchen in eine Plastiktüte. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn etwas fehlt«, sagte er. »So wie Sie humpeln, geht’s Ihrem Fuß immer noch nicht besser.«
    Das Päckchen rappelte auf dem ganzen Heimweg unter meinem Arm. Das braune Papier verrutschte und knitterte. Mit jedem Humpelschritt ratterte der Inhalt der Schachtel von einem Ende zum andern.
    In meiner Wohnung wummert die Zimmerdecke im Rhythmus schneller Musik. Aus den Wänden murmeln panische Stimmen. Entweder ist eine alte verdammte ägyptische Mumie wieder zum Leben erwacht und versucht die Leute nebenan zu töten, oder sie sehen einen Film.
    Unter mir brüllt jemand, bellt ein Hund, schlagen Türen, singt einer mit Marktschreierstimme einen Song.
    Im Bad mache ich das Licht aus. Damit ich nicht sehe, was in der Tüte ist. Damit ich nicht weiß, was dabei herauskommen soll. In der beengten Finsternis dichte ich die Ritze unter der Tür mit einem Handtuch ab. Mit dem Päckchen auf dem Schoß sitze ich auf der Toilette und horche.
    So was nennt man also Zivilisation.
    Leute, die niemals Müll aus ihrem Auto schmeißen würden, fahren mit dröhnendem Radio an dir vorbei. Leute, die in einem vollen Restaurant niemals den Rauch ihrer Zigarre in deine Richtung pusten würden, brüllen in ihre Handys. Sie schreien einander über das Essen hinweg an.
    Diese Leute, die niemals Herbizide oder Insektizide versprühen würden, nebeln ihre Nachbarschaft mit schottischer Dudelsackmusik aus ihrer Stereoanlage ein. Chinesische Oper. Country & Western.
    Vogelgesang in freier Natur ist etwas Schönes. Patsy Cline nicht. Verkehrslärm in freier Natur ist schlimm genug. Und es wird keineswegs besser, wenn noch Chopins Klavierkonzert in e-moll dazukommt.
    Du stellst deine Musik lauter, um den Krach zu übertönen. Andere Leute stellen ihre Musik lauter, um deine zu übertönen. Du stellst deine noch lauter. Alle kaufen sich größere Stereoanlagen. Rüstungswettlauf des Lärms. Mit viel Höhen kannst du nicht gewinnen.
    Hier geht es nicht um Qualität. Sondern um Lautstärke.
    Hier geht es nicht um Musik. Sondern ums Gewinnen.
    Du stampfst gegen den Bass an. Du rüttelst an Fenstern. Du lässt die Melodielinie fallen und schreist den Text mit. Du wirst ordinär und ergehst dich in unflätigsten Ausdrücken.
    Du erringst den Sieg. Hier geht es im Grunde um Macht.
    Im dunklen Bad, auf der Toilette sitzend, puhle ich mit den Fingernägeln das Klebeband von einer Seite des Päckchens und ziehe eine rechteckige Pappschachtel heraus, glatt, weich und an den Kanten pelzig, die Ecken stumpf und eingedrückt. Der Deckel geht ab, und darunter ertaste ich Schichten von spitzen, harten, komplizierten Gebilden, winzige Winkel, Kurven, Ecken und Spitzen. Die lege ich im Dunkeln neben mich auf den Boden des Badezimmers. Die Pappschachtel schiebe ich in die Tüten zurück. Zwischen den harten, verhedderten Gebilden liegen zwei Lagen glitschiges Papier. Auch die schiebe ich in die Tüten. Die Tüten knülle und drehe und rolle ich zu einer Kugel.
    Das alles mache ich blind: das glatte Papier anfassen, die Schichten harter, sich verzweigender Gebilde.
    Der Fußboden unter meinen Schuhsohlen, ja selbst die Klobrille bebt von der Musik nebenan.
    Den Familien, die vom Krippentod heimgesucht wurden, möchte man den Rat geben, sich ein Hobby zuzulegen. Sie würden staunen, wie schnell man einen Strich unter seine Vergangenheit ziehen kann. Ganz gleich, wie schlecht sich die Dinge entwickeln, man kann immer noch weggehen. Man kann Sticken lernen. Lampen aus buntem Glas herstellen.
    Ich trage die Gebilde in die Küche: Bei Licht sind sie blau und grau und weiß. Aus sprödem, hartem Plastikzeug. Winzige Scherben. Winzige Schindeln und Fensterläden und Giebelbretter. Winzige Treppen und Säulen und

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