Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
beim Tier schneller damit abfinden als bei einem Menschen. Wenn es um ein Menschenleben geht, muss man kämpfen bis zum letzten Atemzug, darf nie die Hoffnung verlieren. Und bei einem Hund? Den niemand fragen kann? Aber wird denn der Mensch gefragt? Und das Tier, das man nicht fragen kann oder doch? Vielleicht sagt es deutlich, was es will, und es liegt an uns, ob wir es mit unseren verkümmerten Sinnen hören können. Aber wer die Stimme eines Tieres hören kann, hört auch heller bei Menschen. Dennoch ist bei einem Tier rasch etwas wider die Natur, was dem Menschen zugemutet wird.
»Und – woran arbeiten Sie zurzeit?«, fragt mich der Architekt, den ich mittags gelegentlich treffe. Manchmal denke ich, er legt es darauf an, späht ab zwölf Uhr dreißig alle paar Minuten aus seinem Küchenfenster, ob die Blonde mit dem schwarzen Hund heute auf dem Feldweg auftaucht, der an seinem Haus vorbeiführt. Der Architekt findet mein Leben wahnsinnig interessant. All die berühmten Leute, die ich kennenlerne, für die ich Bücher schreibe als Ghostwriterin, die fremden Leben, in denen ich mich bewege, als wäre es mein eigenes. Immer wieder versucht er, mir Details zu entlocken, aber ich sage nichts. Ghostwriting ist ein Priesteramt, bei dem ich das Beichtgeheimnis wahre. Manchmal aber, häufig im Frühling, wenn der März Säcke voller Saatgut Übermut aus dem bayerischen Föhn schüttet. Dann entwischt mir die eine oder andere Andeutung. Die man so oder anders verstehen kann. Schnell setze ich ein neutrales Priesterinnen- oder Psychoanalytikerinnen-Gesicht auf und schaue zu, wie Luna nach einer Maus gräbt; fette Erdbrocken schleudern durch die Luft. Am nahen Waldrand beschwert sich ein Eichelhäher.
»Und Sie fragen die Leute alles, auch intime Details?«, erkundigt sich der Architekt neugierig.
Ich nicke und mir fällt auf, dass sich unsere Berufe ähneln. Ich baue Häuser aus Wörtern. Zurzeit zimmere ich wohl eher einen Sarg aus Buchstaben, korrigiere ich mich im Stillen und frage mich, wer da reinpassen soll. Der Hund nicht, wohl eher ich, wenn ich so was denke. Selbst wenn eine schwarze Wolke über dem Hund schwebt, kann eine viel größere über mir schweben, in viel höherer Entfernung, sodass sie mit bloßem Auge noch gar nicht zu erkennen ist. Aber wenn die runterfällt, dann wächst kein Gras mehr.
»Ist es wieder mal geheim?«, fragt der Architekt mich.
Ich nicke. Manche meiner Bücher sind sogar streng geheim. Niemand außer den beteiligten Personen weiß, dass ich sie geschrieben habe. In vielen ist mein Name irgendwo, manchmal recht klein, im Innenteil erwähnt. Eitel darf man nicht sein in meinem Job.
»Eine bekannte Persönlichkeit also?«, fragt er.
»Ziemlich«, sage ich. Luna wälzt sich grunzend in … ich nehme an Schafkötteln.
»Männlich oder weiblich?«, fragt er.
»Weiblich«, sage ich.
»Attraktiv?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Musikbranche?«, fragt er, und an seinem Gesicht sehe ich, dass er bereits eine Idee hat.
Ich schweige.
»Von der hätte ich gerne ein Autogramm«, teilt er mir mit. Seine Stimme klingt ein wenig atemlos.
Im wedelnden Vorbeilaufen hinterlässt Luna einen dunklen Fleck auf seiner hellen Hose.
Der Bauch
M it meinem verstorbenen Mann war ich oft in der Toskana bei Freunden gewesen, und als ich eine Weile nach seinem Tod allein dorthin fuhr, begrüßte mich die Hündin Lilly von Erika und Andreas mit einem kugelrunden Bauch. Ich betrachtete den Bauch lang und gründlich und sagte dann zu Erika, die sich Sorgen machte, wo sie den Nachwuchs unterbringen sollte: »Einen von den Welpen nehme ich gerne. Am liebsten ein Mädchen, und wenn es dir recht ist, würde ich es Luna nennen.«
Luna heißt die Tochter von Erika, und ich fand den Namen wohltönend und für einen italienischen Hund passend. Ich hielt Luna für einen seltenen Hundenamen und hatte keine Ahnung, dass vier bis fünf Hunde sich angesprochen fühlen, wenn man Luna über eine Hundewiese ruft. Weitere zehn Hunde sollten sich gemeint fühlen, reagieren aber nicht, weil sie gerade anderweitig beschäftigt, sprich schlecht erzogen sind. Es gibt aber auch Hundebesitzer, die sich von frischgebackenen Eltern anstecken lassen und sich in der Originalität der Hundenamen überbieten. Hunde haben es leichter als Kinder, ihnen wird es auch mit fünf oder sechs oder zehn Jahren egal sein, wie sie heißen; Artgenossen werden sie kaum deswegen hänseln. Banane, Frau Schmitt, Monster, Herbert, Samsung, Salami,
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