Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
vor Behagen grunzend im Schnee. Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Sie nimmt, was da ist, und macht das Beste draus.
Der Tag, an dem wir Luna zu uns holten, bedeutet mir mehr als ihr Geburtstag. Auch er jährt sich nun zum zwölften Mal. Ich fühle noch immer die Wärme des kleinen Hundeleibes auf meinem Schoß, in meine milkafarbene Jacke gehüllt. Du gehörst jetzt zu mir. Alles, was ich mir gewünscht hatte vom Leben mit einem Hund, ist wahr geworden. Meine Kindersehnsüchte haben sich erfüllt. Und ohne Frage: Luna ist die bessere Lassie, denn sie ist echt. Ein schönes Leben habe ich ihr versprochen oder doch zumindest, dass ich alles dafür tun würde, damit sie ein schönes Hundeleben bei mir hat. Das habe ich gehalten, so gut ich es eben konnte. Und das ist die Fettschicht für mein Leben ohne Luna in einer nahen oder fernen Zukunft. Ich glaube, dass wir noch viele Wochen und Monate vor uns haben, vielleicht sogar noch ein paar Jahre. In jedem Augenblick davon keimt der Abschied, und ich wünsche mir ein dichtes grünes Feld, durch das der Wind streift, und alle Pflanzen, am liebsten Sonnenblumen, nicken. Es ist gut so, weil es gut so war. Das Jetzt ist eine Perlenkette.
Ich laufe dort entlang, wo ich gegangen bin, bevor ich die Diagnose mit dem Milztumor erhalten habe, an den ich nun nicht mehr glaube. Fehldiagnose nenne ich das Todesurteil. Alles, was seit dem Schlangenbiss geschehen ist, hat sich im Guten aufgelöst. Eigentlich ist es seit der Katastrophe immer besser geworden, weil sie so viel verändert hat. Luna und ich haben unsere Liebesgeschichte neu belebt, würde ich meinen. Ich bin nur ein einziges Mal seither mit einem Manuskript in der Hand Gassi gegangen, und das war ein Notfall, weil ich die Korrekturen am Telefon durchgeben musste. Sonst war ich bei jedem Gassi nicht nur leiblich, sondern auch seelisch anwesend. Es hat mir gutgetan. Es hat mich lebendiger gemacht.
Nach fast zwölf Jahren ist sie mir noch einmal so neu und kostbar geworden wie ganz am Anfang. Ich war ein wenig schludrig geworden im Umgang mit ihr, hatte sie zu wenig beachtet, fast wie gegeben hingenommen. Aber was ist schon gegeben? Nichts, bis auf den Augenblick.
Abwartend steht Luna am Ufer, dort, wo wir im Sommer immer schwimmen. Aber es ist nicht Sommer. Es ist noch nicht mal richtig Frühling. Schwimmen?, scheint sie mich trotzdem zu fragen. Mit so einem gefetteten Pelzmantel und dichtem Unterfell fragt sich das leicht.
»Wenn du willst«, sage ich. »Aber mir ist es noch zu kalt.«
Sie legt den Kopf schräg.
»Okay, schwimmen«, erlaube ich ihr.
Vor Behagen grunzend, läuft sie ins Wasser. Ihre Rute wird nass, in hohem Bogen spritzt sie einen Wasserkreis. Schaut mich an. Durchdringend. Wedelt auffordernd. Heute ist unser Tag.
Ich überlege kurz. Warum nicht? Wie kalt das Wasser wohl ist? Blöde Frage: saukalt. Acht Grad oder neun? Vielleicht schon zwölf? Oder eher vier, wenn überhaupt? Ich schaue mich um. Niemand da. Ich stelle mir den Weg zum Auto vor. Wenn ich nur kurz eintauche, ein paar Züge schwimme, dann wieder raus, die Klamotten packe und die Böschung hinaufrenne. Ich könnte mich im Auto in ein Handtuch wickeln, ein frisch gewaschenes liegt sogar auf dem Rücksitz, Heizung an und los, vier Minuten bis nach Hause. Nach der Sauna springe ich auch ins Kältebecken. Ich bin das gewöhnt, ich kann es wagen und werde es wohl überleben.
Luna starrt mich an. Nein, natürlich kann ein Hund keine Gedanken lesen, aber das Gegenteil ist nicht bewiesen.
»Okay«, rufe ich ihr zu.
Das Wedeln wird stärker.
Ich darf jetzt nicht abwägen. Ich muss es tun. Sofort. Ohne zu denken.
Ich reiße mir die Jacke, den Pullover, das T-Shirt, den BH , die Jeans, den Slip, die Socken vom Körper und renne los. Unterwegs vergesse ich zu denken, dass ich verrückt bin. Ich denke nicht mal, dass ich untergehen könnte. Ich denke gar nichts, tauche tief ein und schwimme. Seit’ an Seit’ mit meiner Seelengefährtin im See.
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