Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Das ging vorüber.
Ihr fröhlicher Papa war ein Meister im Garten gewesen, der Natur hingegeben und allen, die seine Hilfe benötigt hatten. Ein Mann mit grünem Daumen, dem, wenn er in Gummistiefeln dastand, in die Sonne schaute und dabei die Augen beschattete, die Ideen kamen. Wie er die Bäume, Büsche und mehrjährigen Blumen, aber auch solche, die nur einen Sommer blühten, pflanzen sollte, sodass der Platz am geschicktesten ausgenutzt würde.
Am Schluss war er nur noch ein Skelett gewesen. Es hatte ihr weh getan, ihn so zu sehen. Die Metastasen hatten auf seine Knochen übergegriffen, und sein Rücken hatte ihm bei jeder kleinsten Bewegung unerträgliche Schmerzen bereitet. Er hatte sich jedoch geweigert, sich hinzulegen und auszuruhen.
Eines Tages hatte er dann aufgegeben, und die letzten Monate hatte er kaum noch das Bett verlassen. Sie rechnete nach. Fünfzehn Jahre war das jetzt her. Die Zeit war etwas Merkwürdiges, manches blieb gleichsam bestehen, verblasste zwar, aber nur in Maßen. Alle hatten sich damals um ihren Vater herum versammelt, aber er hatte sich beharrlich geweigert, über seine Krankheit zu sprechen, hatte es vorgezogen, ihr zuzuhören, wenn sie von Cecilia, ihrer Arbeit, dem Wetter und dem Wald vor der Haustür erzählte. Die späte Geburt seiner Tochter hatte ihm ungeheure Freude bereitet. Sie hatte viele Geschichten von Mädchen gehört, die den ständigen Verdacht hegten, dass sie eigentlich Jungen hätten werden sollen. Nur als Junge wurde man voll akzeptiert. Ihr war es jedoch nie so ergangen. Keinen Augenblick hatte sie darüber nachgedacht, dass sie vielleicht eine andere hätte sein sollen. Ihr Papa hatte nur sie gewollt.
Sie sah das fleckige Heidelbeerlaub vor sich, das gegen ihre Stiefel geschlagen war, als sie direkt anschließend geradewegs in den Wald gelaufen war. Der Moorboden hatte unter ihr nachgegeben. Genau wie ihr Inneres.
Das Auto schaukelte etwas, als sie auf ihr Grundstück fuhr. Sie hörte auf zu weinen, stellte den Motor ab und ging zum Briefkasten. Die Zeitung lag noch da. Claes war also noch nicht aufgestanden.
Leicht schwankend ging sie zur Haustür und faltete dabei die Zeitung auf. »Schießerei«, las sie in fetten Lettern. Sie reagierte jedoch nicht darauf. »Die Frau mit der Schussverletzung wurde sofort ins Krankenhaus gebracht und akut operiert. Ihr Zustand ist kritisch.«
Habe ich das wirklich gesagt?, überlegte Veronika. Habe ich nicht gesagt, ihr Zustand sei stabil, seit mit ihrer Behandlung begonnen worden war?
Auch egal. Ihre eigene Beschreibung von Vorfällen stimmte selten mit der in den Medien überein. Sie hatte aufgehört, sich darüber aufzuregen.
Sie schloss die Tür auf, zog die Schuhe aus und schlich in die Küche. Sie warf die Zeitung auf den Küchentisch und ließ dann das Kaltwasser eine Weile laufen, bis sie ein Glas füllte und in einem Zug leertrank.
Dann ging sie mit steifen Gliedern und gefühllosen Wadenmuskeln die Treppe hoch. Im Schlafzimmer waren die Rollos heruntergelassen, es war halbdunkel und kühl. Das Fenster stand offen. Sie ließ ihre Kleider auf den Boden fallen und kroch unter die Decke. Das Laken war weich auf der Haut. Die Spannung ihrer Muskeln ließ nach. Ihre Füße kribbelten, als sie sich langsam erwärmten. Sie schloss die Augen und versuchte zur Ruhe zu kommen.
Sie hörte, wie sich Claes neben ihr umdrehte. Das Bett schaukelte, aber er stand nicht auf. Worauf wartete er?
Dann spürte sie die Hand, die sich unter der Decke vortastete. Wie eine Tatze legte sie sich zwischen ihre Schulterblätter und folgte dann ihrem Rückgrat bis zu ihren Hüftknochen und dorthin, wo es weicher wurde. Er massierte sie leicht. Ein behaglicher Schauer erfasste ihren Nacken und ihre Schultern. Vollkommen reglos genoss sie das Gefühl. Wartete. Wartete darauf, was sie selbst wollte. Sollte sie ihn bitten aufzuhören? Sie brauchte ihren Schlaf. Wie sollte sie den Tag sonst überleben?
Aber ihre Haut fühlte sich wohl. Sie bekam eine Gänsehaut und erschauerte vor Wohlbehagen. Sie ließ sich fallen, kam zur Ruhe, während seine Hand weiterwanderte. Dann machte sie es sich auf dem Rücken bequem und öffnete langsam die Beine. Er drückte sich an sie. Sie konnte sich nicht bewegen, konnte sich weder zu einem Streicheln aufraffen noch dazu, ihm das Gesicht zu einem Kuss zuzuwenden. Sie war vollkommen von ihrer eigenen empfindlichen Haut und seiner Hand, die sie berührte, erfüllt. Die Hand folgte ihren Leisten weiter zur
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