Lustnebel
war sie noch immer unverheiratet.
Ein haltloser Zustand, wie ihre Mutter und deren Freundinnen fanden. Diese Fürsorge in allen Ehren, doch manchmal engte sie Rowena ein. Ein beklemmendes Gefühl, das sie immer öfter heimsuchte. Sie seufzte.
„Ich gehe ohne dich“, verkündete Claire entschlossen. „Ich würde deine Begleitung zwar begrüßen, doch ich gehe auch allein dorthin.“
„Claire“, zischte Rowena entsetzt. „Du weißt gar nicht, was dort geschieht!“
„Das weiß ich sehr wohl! Hemmungslose Befriedigung aller Gelüste, verbotene Verlockungen ohne Reue, ohne Angst“, erklärte Claire. „Wir tragen Masken, keiner wird uns erkennen. Und die Gegend ist respektabel.“
Rowena musterte Claire scharf. Sie erkannte in ihr einen unverrückbaren Willen, wägte ein letztes Mal ab und gab schließlich doch nach. „In Ordnung, ich begleite dich. Aber wir gehen nur dieses eine Mal dorthin.“ Sie faltete den Brief, warf ihr einen beschwörenden Blick zu und steckte die Einladung in ihren Ausschnitt. Tief durchatmend stand sie auf und rauschte zur Tür, Claires eventuelle Widerworte im Keim erstickend. Sie streckte ihre Hand nach der Klinke aus, als sie die Bedeutung ihres Vorhabens mit voller Wucht erkannte. Ihre Finger packten den Griff so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Niemals durfte auch nur das Gerücht an die Öffentlichkeit dringen. Sie fixierte Claire mit einem warnenden Blick.
„Und danach, liebe Cousine, werden wir nie wieder darüber sprechen. Alles ist gut.“ Nie hatte Rowena sich so gründlich geirrt …
Die Gegend war wirklich eine der angesehensten in London. Vornehme Häuser, gepflegte Vorgärten und saubere Straßen prägten das Bild. Niemand dachte sich etwas dabei, zwei junge Damen aus gutem Haus über die Straße flanieren zu sehen, und zudem erwies sich die Gegend als wenig belebt.
Die Tageszeit, zu der man Claire eingeladen hatte, war perfekt gewählt. Claire hob ihre Hand und legte sie auf den Türklopfer. Ihre großen, braunen Augen wandten sich Rowena zu. „Bereit?“, fragte sie, und das leichte Zittern der Hand zeigte einen Anflug von Nervosität. Rowena starrte auf den blitzenden Silberlöwen der schwarzen Tür. Sie zuckte mit den Schultern. „Wir können gehen und die ganze Sache vergessen“, erklärte sie. Rowena hoffte, Claire ginge darauf ein. Doch wie schon viele Male zuvor tat Claire nicht, was man von ihr erwartete.
„Niemals“, verkündete sie energisch und klopfte entschlossen.
Die Tür öffnete sich, und ein glatzköpfiger Butler ließ sie ein. Claire und Rowena traten ein und standen in einem Vorraum mit Marmorboden und dunklen Wandvertäfelungen. Prächtige gelbe Blumensträuße in hohen Vasen schmückten die Zimmerecken.
„Die Damen haben eine Einladung?“, erkundigte sich der Butler.
„Ja“, antwortete Claire und riss Rowena das Schreiben aus der Hand.
Der Butler winkte ab, und Rowena betrachtete ihn aufmerksam. Die Augen des Mannes waren milchig. Wenn er überhaupt zu sehen vermochte, dann nicht gut. Rowena schluckte. Er würde nicht bezeugen können, dass sie es gewesen waren, die das Haus aufgesucht hatten. Wer auch immer dies alles eingefädelt hatte, überließ nichts dem Zufall.
„ Hellfire-Club -Nonnen also“, entgegnete der Butler lapidar. „Durch die schwarze Tür dort. Legt Eure Kleider ab, setzt die Masken auf und zieht die Umhänge über. Man wird Euch abholen.“
„Aber …“, protestierte Rowena.
Der Butler unterbrach sie unwirsch. „Fügt Euch oder geht!“ Er verließ den Raum, ohne sich um die beiden jungen Frauen zu kümmern. Rowena sah zu Claire. Die blickte Rowena bittend an. Rowena seufzte. Spätestens jetzt gab es kein Zurück mehr. In Gedanken sprach sie sich Mut zu. Angespannt gingen sie in die Richtung, die der Butler ihnen gewiesen hatte. Das Zimmer erwies sich als angenehme Überraschung. Ein flauschiger Teppich dämpfte ihre Schritte. An der Wand standen zwei verschnörkelte Schminkkommoden, darüber hing ein riesiges Gemälde griechischer Gottheiten, die sich nackt auf dem bemoosten Waldboden miteinander vergnügten. Rowena starrte die Szene aus weit aufgerissenen Augen an. Ein Satyr fesselte ihren Blick. Sein Glied ragte dick und geschwollen in die Luft, und vor ihm präsentierte eine nackte Frau ihren runden Hintern. Der Satyr blickte gierig , und es wirkte, als wollte er mit der nächsten Bewegung in die sich ihm darbietende Frau eindringen.
Rowena hatte im Sommer zufällig beobachtet,
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