Lux perpetua
Und euch als Freunde zu bezeichnen?« »Euch als Freunde zu bezeichnen?«,
echote die kleine Krähe. »Was heißt das schon«, der Landstreicher hörte nicht auf, Reynevan aus seinen Wolfsaugen anzustarren,
»was heißt das schon, dass du dereinst als einer von uns auf dem Erbsberg warst? Das war einmal. Heute hast du, habt ihr alle
und alles mit Verbrechen und Blut angesteckt, wie mit einer Seuche. Bringt uns nicht eure Krankheiten her, haltet euch fern
von uns. Geh fort von hier, Mensch. Geh fort.«
»Geh fort«, echote die kleine Krähe. »Wir wollen dich hier nicht.«
»Was war dann? Wohin bist du dann gegangen?«
»Nach Ohlau.«
»Nach Ohlau?« Der Kanonikus hob plötzlich den Kopf. »Jetzt sage mir nur nicht, dass du dort gewesen bist
. . .
«
»Am Sonntag vor dem Festtag des heiligen Antonius? Wann sonst? Ich war dort
. . .
«
Otto Beess schwieg lange.
»Dieser Pole, Łukasz Bożyczko«, sagte der Kanonikus, »ist die nächste Merkwürdigkeit in deiner Erzählung. Ich habe ihnein-, zweimal beim Inquisitor gesehen. Er hing an Gregor Hejnczes Rockschößen und rannte wie ein kleiner Page hinter ihm her.
Er hat keinen Eindruck auf mich gemacht. Ich sag’s mal so: Er erscheint einem genauso wenig wie eine allmächtige graue Eminenz
wie unser Bischof Konrad als ein frommer und tugendhafter Asket. Er sieht aus, als könnte er kaum bis drei zählen. Und wenn
ich ein Nichts malen müsste, dann würde ich ihn holen, damit er mir Modell steht.«
»Ich fürchte«, erwiderte Reynevan ernst, »dass seine äußere Erscheinung eine täuschende Maskerade ist. Ich fürchte es gerade
Juttas wegen.«
»Solch eine Maskerade halte ich durchaus für möglich.« Otto Beess nickte. »In letzter Zeit haben vor meinen Augen einige ganz
hübsch ihre Pracht entfaltet. Es hat mich geradezu starr vor Staunen gemacht, was ich da so nach und nach gesehen habe. Aber
eine Maskerade ist eine Sache, die kirchliche Hierarchie eine andere. Weder jener Bożyczko noch irgendein anderer Bediensteter
täte oder unternähme etwas auf eigene Faust, hinter dem Rücken des Inquisitors und ohne sein Wissen.
Ergo
muss Hejncze den Befehl zur Entführung und Festnahme von Jutta de Apolda gegeben haben. Und das kann ich mir beim besten Willen
nicht vorstellen. Das passt überhaupt nicht zu dem, was ich über diesen Mann weiß.«
»Menschen ändern sich.« Reynevan biss sich auf die Lippen. »Auch vor meinen Augen haben sich in letzter Zeit einige Maskeraden
abgespielt. Ich weiß, dass alles möglich sein kann. Dass alles, was man sich denken kann, geschieht. Auch das, was kaum vorstellbar
ist.«
»Das ist wohl wahr.« Der Kanonikus seufzte. »Vieles, was in den letzten Jahren geschehen ist, habe ich mir früher überhaupt
nicht vorstellen können. Wie hätte jemand annehmen können, dass ich, der Präpositus des Domkapitels, statt zum Weihbischof,
zum Bischof der Diözese oder wenigstens zum Titularbischof aufzusteigen,
in partibus infidelium
, zum Domherrn degradiert werden würde. Und das wegen des Brudersohnesmeines besten Freundes, des unvergessenen Heinrich von Bielau?«
»Vater
. . .
«
»Schweig, schweig!« Der Kanonikus winkte verächtlich ab. »Empfinde keine Reue, du bist nicht schuld daran. Ich hätte dir geholfen,
selbst wenn ich dies damals hätte voraussehen können. Ich würde dir auch heute helfen, wo mir wegen des Kontakts mit dir,
einem verfluchten Hussiten, hundertmal schlimmere Konsequenzen drohen als die Ungnade des Bischofs. Aber ich bin nicht imstande,
dir zu helfen. Ich besitze keine Macht mehr. Ich verfüge über keine Informationen, denn Macht und Zugang zu Informationen
sind untrennbar miteinander verbunden. Ich habe keine Informanten mehr. Die Treuen und Vertrauenswürdigen wurden erdolcht
in dunklen Gässchen aufgefunden. Die Übrigen, darunter auch die Dienstboten, tragen, anstatt mir etwas über andere, den anderen
etwas über mich zu. Zum Beispiel Pater Felician
. . .
Erinnerst du dich an Pater Felician, den sie die Laus nannten? Der hat mich beim Bischof angeschwärzt, und er denunziert mich
weiterhin. Der Bischof hilft ihm dabei, die Ämterleiter emporzuklettern, ohne zu wissen, dass dieser Hundesohn
. . .
Ha! Reynevan!«
»Bitte?«
»Da fällt mir etwas ein. Was diesen Felician betrifft. Wegen deiner Jutta
. . .
Da gäbe es vielleicht eine Möglichkeit
. . .
Vielleicht nicht die beste, aber eine andere kommt mir grade nicht in den Kopf
. . .
Aber die Sache
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