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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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schwieg eine Weile und kaute auf seiner Unterlippe.
    »Deine böhmischen Freunde, die Waisen«, sagte er schließlich, »haben bis vorgestern, bis
Purificatio
, noch vor Schweidnitz gelegen. Als sie dort nichts ausrichten konnten, sind sie nach Striegau gezogen und haben die Stadt
     belagert. Genug, wirklich mehr als genug haben diese zerstörerischen Myrmidonen dem schönen schlesischen Land schon zugesetzt.
     Du begibst dich also zuerst nach Striegau und überzeugst Královec, dass er die Belagerung aufgibt und abzieht. Nach Hause,
     nach Böhmen.
    »Wie soll ich denn das machen? Wie?«
    »So wie immer.« Der Abgesandte der Inquisition lächelte. »Du verstehst es doch, das Schicksal und den Zufall zu beeinflussen.
     Du hast Talent dazu, die Geschichte zu verändern und sie in völlig neue Bahnen zu lenken. Das hast du doch grad erst vor Altwilmsdorf
     bewiesen. Da hast du Schlesien ganz eindeutig eines Piasten beraubt und das Herzogtum Münsterberg von der Erbfolge durch Piasten
     ausgeschlossen. Johann vonMünsterberg hatte keinen männlichen Nachkommen, und mit seinem Tod fällt das Herzogtum unmittelbar an die böhmische Krone
     zurück. Ob die Geschichte dir dafür danken wird, wird sich weisen. In ein paar hundert Jahren. Reite nach Striegau.« »Ich
     werde hinreiten.«
    »Und wirst deine törichte Suche aufgeben?«
    »Hmm.«
    »Deine Nachforschungen und Ermittlungen?«
    »Hmm.«
    »Weißt du was? Ich glaub’ dir nicht recht.«
    Bevor Reynevan auch nur zwinkern konnte, hatte Łukasz Bożyczko auch schon sein Handgelenk ergriffen und ihm ruckartig den
     Arm verdreht. In seiner Hand blitzte das aufgeklappte Rasiermesser. Reynevan warf sich hin und her, aber der schwere Eichendeckel
     hielt ihn nach wie vor gefangen, und Bożyczko hatte einen eisernen Griff.
    »Ich glaub’ dir nicht recht«, spottete dieser und schob mit dem Fuß eine Kupferschüssel näher heran. »Deshalb werde ich dich
     zuerst ein wenig zur Ader lassen. Um deine Gesundheit und deinen Charakter zu bessern. Besonders den Charakter. Denn, wie
     ich merke, wirst du von Launen beherrscht, besonders von Schwermut und Wut abwechselnd, und das kommt doch von der Feuchtigkeit
     und den Sekreten von grüner und schwarzer Galle. All diese bösen Sachen sammeln sich im Blut. Also zapfe ich dir ein wenig
     davon ab. Na, vielleicht ein bisschen mehr als ein wenig.«
    Er bewegte seine Hand und das Rasiermesser so rasch, dass Reynevan der Bewegung fast nicht folgen konnte. Auch den Schmerz
     spürte er kaum. Er fühlte, wie ihm das warme Blut über den Unterarm, die Hand und die Finger rann. Er hörte, wie es laut in
     das Becken tropfte.
    »Ja, ja, ich weiß«, Bożyczko nickte, »dies ist keine gute Zeit für einen Aderlass. Winter, Neumond, die Sonne im Zeichen des
     Wassermanns, dazu Freitag, der Tag der Venus. An solchen Tagen schwächt einen ein Aderlass ganz besonders. Aber dashat auch seine guten Seiten. Denn mir liegt schon daran, Reynevan, dass du ein wenig geschwächt wirst. Dass ich dir ein bisschen
     Energie raube, die du sonst in völlig falsche Bahnen lenken würdest. Spürst du es? Du wirst schon schwächer. Und dir wird
     kalt. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist ein bisschen schwach, was?«
    »Zapple nicht so herum, kämpf nicht gegen mich an. Dir geschieht nichts, du bist viel zu wertvoll für uns, als dass ich deine
     Gesundheit gefährden und dir unnötiges Leid zufügen könnte. Hab keine Angst, ich werde dir auch den Arm verbinden. Ich kann
     besser Verbände anlegen als rasieren, glaub mir.«
    Reynevan fing an, mit den Zähnen zu klappern, wegen der Kälte, die ihn umfing. Die Badestube tanzte vor seinen Augen. Bożyczkos
     monotone Stimme schien von weit her zu ihm zu dringen.
    »Ja, ja, Reynevan. So ist das nun mal. Eine jede Tat ruft eine Reaktion hervor, ein jedes Ereignis hat Folgen, und eine jede
     Folge ist die Ursache weiterer Folgen. In Domrémy beispielsweise, in Frankreich, hat ein Mädchen namens Johanna Stimmen gehört.
     Was wird das wohl für Folgen haben? Welche Konsequenzen wird wohl in der fernen Zukunft die Kugel aus einer französischen
     Bombarde nach sich ziehen, die im Herbst letzten Jahres vor Orléans das Gesicht des Earl of Salisbury zerschmettert hat? Welche,
     dass nach Salisburys qualvollem Tod der Earl of Suffolk den Oberbefehl über das Heer, das Orléans belagert, übernommen hat?
     Auf welche Weise werden wohl die Verse den Lauf der Welt beeinflussen, die Stanisław Ciołek als neuer Bischof

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