Luzifers Hammer
sie. »Ich glaube, er ist viel zu religiös. Und wir hatten auch kaum Gelegenheit, nicht nachdem wir nach Washington zogen.«
»Er hat nie geheiratet«, sagte Jellison.
»Dad, das ist Unsinn! Er hat sich 16 Jahre lang nicht um mich gekümmert.« »Nein, ich glaube nicht. Aber das heute Abend war ziemlich eindeutig. Okay, laß uns zu Bett gehen.«
»Dad.«
»Ja?«
»Können wir miteinander reden? Ich habe Angst.« Sie setzte sich in den Sessel neben ihn. Er fand, daß sie bedeutend jünger aussah, und erinnerte sich an die Zeit, als sie noch ein kleines Mädchen war, als ihre Mutter noch lebte. »Es ist schlimm, nicht wahr?« fragte sie.
»So schlimm wie nur irgend möglich«, sagte Jellison. Er langte nach dem Whisky und schenkte sich zwei Finger hoch ein. »Wie dem auch sei. Wir wissen, wie der Whisky gemacht wird. Wenn es Korn gibt, wird es auch Schnaps geben. Sofern es Korn gibt.«
»Was geschieht jetzt?« fragte Maureen.
»Ich weiß nicht. Aber ich kann’s mir denken.« Er starrte in die leere Feuerstelle. Sie war feucht vom Regen, der durch den Kamin rieselte. »Hammerfall. Bis zur Stunde sind die Flutwellen um die Erde gerast. Die Küstenstädte sind alle ausgelöscht.
Auch Washington. Ich hoffe, daß das Kapitol überdauert hat – ich mag diesen alten Steinhaufen.« Er schwieg für eine Weile, und sie lauschten dem ständig strömenden Regen und dem Donner.
»Ich weiß nicht, wer das gesagt hat«, sagte Jellison. »Aber es ist wirklich wahr. Kein Land ist weiter als drei Mahlzeiten von einer Revolution entfernt. Hörst du den Regen? Überall im Land regnet es. Die Niederungen, die Flußbetten, die kleinen Bäche, alle Straßen in niederer Lage sind unter Wasser, so wie auch das ganze San Joaquin Valley überflutet wird. Autobahnen, Eisenbahnlinien, die Flußschiffahrt, alles dahin. Es gibt keinen Transport mehr und kaum Kommunikation. Das heißt, daß die Vereinigten Staaten aufgehört haben zu existieren wie manche andere Staaten.«
»Aber …« Sie erschauerte, obwohl es im Raum nicht kalt war. »Es muß doch noch Orte geben, die nicht zerstört sind. Städte, die nicht an der Küste liegen. Gebirgsgegenden, die nicht durch Erdbeben gefährdet sind. Da gibt es immer noch eine Organisation …«
»Wirklich? Was glaubst du, wie viele Orte es wohl gibt, die auf Wochen hinaus genügend Lebensmittel haben?«
»Darüber habe ich nie nachgedacht …«
»Und es geht nicht um Wochen, sondern um Monate«, sagte Jellison. »Was sollen die Leute essen? Die USA haben stets einen Lebensmittelvorrat für etwa 30 Tage, und das umfaßt alles – Lagerbestände, Supermärkte, Kornkammern, Schiffe im Hafen. Ein Großteil davon ist verloren, ein weiterer Teil verderblich und bei Stromausfall hinüber. Und dieser Hammerfall wird nicht gerade vorteilhaft für die Ernte sein. Glaubst du, daß jemand, der genug zu essen hat, etwas hergeben und einem anderen helfen wird?«
»Oh …«
»Und es kommt noch schlimmer.« Seine Stimme klang jetzt brutal, fast so, als wollte er sie einschüchtern. »Flüchtlinge überall. Überall, wo es was zu beißen gibt, werden die Leute nach Eßbarem suchen. Das darf man ihnen nicht übelnehmen. Schon jetzt können eine Million Flüchtlinge hierher unterwegs sein! Vielleicht versuchen Polizei und Landesregierung da und dort zu überleben. Was machen sie, wenn dieser Heuschreckenschwarm kommt? Nur sind es eben keine Heuschrecken, sondern Menschen.«
»Aber – was sollen wir tun?« rief Maureen.
»Überleben. Durchhalten. Und eine neue Zivilisation aufbauen. Irgend jemand muß es tun.« Er hob die Stimme. »Wir können es schaffen. Wie bald, hängt davon ab, wie tief wir sinken. Bis hin zum Urzustand? Pfeil und Bogen und Steine? Ich will verdammt sein, wenn wir nichts Besseres finden.«
»Ja, sicher …«
»Nichts von wegen sicher‹, Mädchen.« Jellisons Stimme klang müde, dennoch irgendwie bestimmt und fest. »Es kommt darauf an, wie lange wir uns halten können, wie lange wir uns hier halten können. Wir wissen nicht, wie es woanders ausschaut, aber uns geht es einigermaßen, und wir können etwas unternehmen. Hier haben wir eine Chance, und wir werden sie, weiß Gott, nützen.«
»Du wirst es schaffen«, sagte Maureen. »Es ist deine Aufgabe.«
»Weißt du sonst jemanden, der es fertig bringt?«
»Das ist keine Frage, Dad.«
»Dann denke daran, wenn ich etwas tue, was mir selbst nicht besonders gefällt.« Er biß die Zähne zusammen. »Wir werden es schaffen, Mädchen.
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