Luzifers Hammer
alles in Ordnung. Nicht weit von der Hütte entfernt stand eine Farm mit Vieh und sonstigen Lebensmitteln, genug, um zwei Dutzend Brüder eine Zeitlang durchzubringen. Sie hatten nicht einmal darum zu kämpfen. Der Rancher lag tot unter dem eingestürzten Dach mit gebrochenem Bein, wo er wahrscheinlich verhungert oder verblutet war. Aber dann kamen eine Menge Weiße mit Waffen und trugen ihn fort, und achtzehn Brüder in drei Lastern mußten hinaus in den Regen.
Dann wurde es wirklich schlimm. Nichts zu essen, kein Ort, wo sie hinkonnten. Kein Mensch wollte die Schwarzen. Was sollten sie also? Vielleicht vor Hunger sterben?
Alim Nasser saß mit übereinandergeschlagenen Beinen im Regen, döste und dachte nach. Das war eine verrückte Welt, eine Welt, die irgendwelchen Gesetzen gehorchte, die von schnatternden Idioten erfunden worden waren, eine Welt des unvorstellbaren Luxus: heißer Kaffee, Steaks zum Abendbrot und trockene Handtücher. Alim trug einen Mantel, der ihm genau paßte, den Nerzmantel einer Frau, der durchweicht war wie ein Schwamm. Und keiner der Brüder durfte sich darüber aufregen.
Alim Nasser besaß wieder Macht.
In seinem Gesichtsfeld tauchten Beine auf, gestohlene Stiefel mit geplatzten Nähten, die Sohlen vom vielen Gehen fast durchgescheuert. Alim blickte auf.
Swan war ein Leichtgewicht, der jede Menge scharfer Sachen mit sich trug. Er war biegsam wie ein Tänzer, kühl und gefährlich, als Ali ihn damals aufsuchte und ihm das Diebesgeschäft anbot. Jetzt sah er halb verhungert und schüchtern aus. Er sagte: »Jackie hat mit Cassie wieder Murks gemacht. Cassie mag das nicht. Ich denke, sie hat Chick was gesagt.«
»Scheiße!« Alim stand auf.
»Wir sollten diesen Chick umlegen«, sagte Swan.
»Nun hör mir mal gut zu!« Alim war bestürzt darüber, daß seine Stimme so unsicher klang. Er war müde, entsetzlich müde.
Er beugte sich nahe zu Swan hinab und sprach leise und drohend. »Wir brauchen Chick. Und ich werde Jackie umbringen, bevor ich Chick töte. Und dich auch!«
Swan zuckte zurück. »Okay, Alim.«
Alim genoß die Situation. Swan hatte nicht nach dem Messer gegriffen, er war zurückgeschreckt. Alim besaß immer noch Macht. »Chick ist der Größte, der stärkste Bruder, den wir haben, aber darum geht es nicht«, sagte Alim. »Chick ist Farmer. Ein Farmer , begreifst du das? Möchtest du dein ganzes Leben lang so was tun ? Mann, wir waren zehn Tage auf den Beinen, gefällt dir das ? Irgendwo werden wir schon ein Plätzchen finden, aber das nützt uns nichts, wenn wir nichts von Landwirtschaft verstehen …«
»Laß doch einen anderen die verdammte Arbeit tun«, sagte Swan.
»Woher willst du wissen, ob sie es richtig machen?« fragte Alim. »Wir …« Er war nahe daran, sich seine Verzweiflung anmerken zu lassen. »Wo ist Chick?«
»Beim Feuer. Und Jackie ist nicht da.«
»Cassie?«
»Ist bei Chick.«
»Gut.« Alim ging langsam auf das Feuer zu. Es war gut zu wissen, daß er Swan den Rücken kehren konnte, ohne daß was passierte. Swan brauchte ihn. Sie alle brauchten ihn. Keiner sonst hätte sie so weit gebracht, und sie alle wußten es.
In der ersten Woche nach dem Hammerfall hatte es pausenlos geregnet. Dann nieselte es nur noch, und das miese Wetter hielt weiter an, bis es kein Mensch mehr aushalten konnte. Aber es regnete weiter. Jetzt, vier Wochen nach dem Hammer, nieselte es öfter als nicht, und zumindest einmal in der Woche ging ein schwerer Regen nieder.
An diesem Tag hatte es dreimal geregnet, und es war immer noch diesig. Der Regen machte es für jeden schwer, er zerrte an den Nerven. Die Füße wurden klamm in den Stiefeln. Alles um sie herum war hoffnungslos durchnäßt, und sie hätten für ein trockenes Plätzchen jemanden umbringen können. Gegen Mitternacht legte sich der Sprühregen. Nun saßen sie am Feuer unter einer Art Kunststoffzelt. Morgen würde es Alim vielleicht bedauern, daß er zugelassen hatte, Kraftstoff für ein Feuer zu verschwenden, aber – Scheiße! Vielleicht würde keine Straße mehr da sein, bevor dem Lastwagen, den sie in Oil City gestohlen hatten, das Benzin ausging. Die meisten Straßen endeten irgendwo an einer tiefen Stelle unter Wasser, und man mußte einen weiten Umweg fahren, um eine kleine Strecke von wenigen Kilometern zu überwinden. Verrückt, aber wahr.
Wo die Straße tiefer liegendes Gelände überquerte, war eine Straßensperre, und da hielten bewaffnete Farmer Wache.
Und sie brauchten ein Feuer. Das Benzin hatte
Weitere Kostenlose Bücher