Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
am liebsten mit Beweisen, mit Indizien, mit der Tatortanalyse. Seiner Ansicht nach waren Fakten das einzig Verlässliche, und das galt ausnahmslos und für alle Fälle. Zeugen logen, und das Bauchgefühl konnte täuschen, Fakten hingegen führten, richtig interpretiert, stets zur Wahrheit. Die kleine Firma hatte sich innerhalb der staatlichen Strafverfolgungsbehörden schnell einen Namen gemacht, und nun meldeten sich FBI und Polizei, wann immer ihnen die Hände gebunden waren, wenn eine Spur zu versanden und die offiziellen Ermittlungen zu scheitern drohten.
Durch Lydia hatte sich die Firma den Ruf erworben, auch scheinbar unlösbare Fälle zu knacken. Ihr New-York-Times -Bestseller über die Cheerleader-Morde – eine Mordserie, die sie und Jeff gemeinsam aufgeklärt hatten – katapultierte Mark, Hanley und Striker über Nacht ins Rampenlicht.
Jeffrey, Jacob und Christian waren seinerzeit nach New Orleans geflogen, um das Verschwinden von vier Schülerinnen zu untersuchen. Die lokalen Medien sprachen später von den »Cheerleader-Morden«, weil die Mädchen – alle mit blondem Haar und blauen oder grünen Augen – demselben Cheerleader-Team angehört hatten. Es waren die hübschesten, beliebtesten Mädchen der Schule gewesen, Mädchen aus intakten Elternhäusern, mit guten Noten und gutem Benehmen. Als Jeff erste Fotos gesehen hatte, meinte er sofort zu wissen, was den Killer angezogen hatte: Die Mädchen sahen einander ungewöhnlich ähnlich, hatten seidiges, schulterlanges Haar, ein breites Lächeln und makellose Haut. Sie sahen wie Schwestern aus.
Nach vier Wochen mussten die Ermittler vom Tod der vier vermissten Mädchen ausgehen. Jeffrey und seine Kollegen nahmen an, dass der Entführer Verbindungen zur Schule hatte. Vermutlich war er Sportlehrer, Busfahrer oder Hausmeister. Mehrere Verdächtige wurden observiert. Besonders im Fokus stand ein geistig zurückgebliebener Hausmeister, der auf Psychopharmaka angewiesen und schon gewalttätig geworden war.
Aber keine Spur schien vielversprechend. Die Puzzleteile fügten sich einfach nicht zusammen. Wie so oft, wenn er nicht weiterkam und einen Perspektivwechsel brauchte, rief Jeffrey Lydia an. Sie hatte ihm schon früher mit ihrer Intuition weitergeholfen und ihn auf Details aufmerksam gemacht, die er in seinem Eifer übersehen hatte. Der Faktenfanatiker Jeffrey hatte gelernt, Lydia und ihre Instinkte zu respektieren. Sie war ihm eine unschätzbar wertvolle Hilfe, wenn er mit Fakten allein nicht weiterkam.
Lydia hatte schlechte Laune, als sie in New Orleans ankam. »Einmal Polizist, immer Polizist, nicht wahr, Jeff? Das hier ist doch wieder die typische Hexenjagd mit den üblichen Verdächtigen«, beschwerte sie sich. »Meiner Meinung nach seid ihr völlig auf dem Holzweg.«
Sie bezog sich auf die Auswahl der Verdächtigen. Während der Ermittlungen waren gut gehütete Geheimnisse ans Tageslicht gekommen wie Leichen an die Wasseroberfläche. Die Ehefrau eines Sportlehrers hatte die Scheidung eingereicht und während des Sorgerechtsstreits behauptet, der Mann habe die gemeinsame Tochter belästigt. Ein Busfahrer musste einräumen, früher Crack geraucht zu haben. Einer besonders großen und kräftigen Sportlehrerin wurde nachgewiesen, dass sie früher ein Mann gewesen war. Die Detektive hatten einen ganzen Vorort aufgemischt, ohne ihrem Ziel auch nur einen Schritt näher gekommen zu sein.
Lydia hörte sich bei den Klassenkameraden der Vermissten um. Das so entstandene Bild wich erheblich von der Idylle ab, die Eltern und Lehrer beschrieben hatten. Obwohl die vier Mädchen der eingeschworenen Viererclique um ihre Schönheit von der ganzen Schule beneidet wurden, hasste und fürchtete sie insgeheim so manche Mitschülerin. Sie konnten niederträchtig sein und hatten sich immer die Schwächsten herausgepickt, um sie zu mobben und bloßzustellen.
Ihr letztes Opfer war die sechzehnjährige Wanda Jane Felix gewesen, eine übergewichtige, ungewöhnlich große Brillenträgerin, die nach Schweiß stank und unter schwerer Akne litt. Wanda hatte kaum Freunde und war krankhaft schüchtern. Dennoch war sie ein nettes und hochintelligentes Mädchen. Sie war erst zu Beginn des Schuljahres in die Gegend gezogen und hatte kaum Kontakte geknüpft. Mit anderen Worten: Sie war das perfekte Opfer. Die vier Mädchen hatten sie eine Woche lang hofiert und umschwärmt, ihr Stylingtipps gegeben und sie ins Kino mitgenommen. Am Freitagnachmittag dann luden sie Wanda zu ihrer
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