Lykandras Krieger 3 - Wolfskriegerin (German Edition)
nicht sicher, ob es ein Anfall war oder etwas anderes, doch plötzlich war sie nicht mehr im Hinterhof, sondern in dem kleinen Wäldchen, in dem das Rudel rastete. Sie waren auf der Durchreise gewesen, wie so oft, und Charr hatte bestimmt, wohin es ging. Er war der Rudelführer und glaubte, dass ihm das einzige Weibchen zustand. Keira hatte frisches Wasser aus dem Bach getrunken, als plötzlich das Spiegelbild eines grauen Wolfes hinter ihrem aufgetaucht war.
Sie hatte Einspruch erheben, ihn zurechtweisen wollen, aber da war er auf sie gesprungen, hatte ihr in den Nacken gebissen und versucht, sie zu unterwerfen. Keira war in Panik geraten. Bisher war sie seinen Avancen immer entkommen. Manchmal, wenn sie am Lagerfeuer gesessen hatten, hatte er sich neben sie gesetzt, seinen Arm um ihre Schultern gelegt und sie mit gierigen Augen nahezu verschlungen. Die anderen hatten nie etwas gesagt oder getan, obwohl jeder wusste, wie unangenehm es ihr war. Aber sie war die Rangniedrigste, noch dazu eine Chimäre, welche im Rudel nicht dieselben Rechte hatte. Keira hatte Angst gehabt, den Mund aufzumachen. Irgendwann hatte sie ihm jedoch Kontra gegeben, ihn zurückgewiesen und er hatte sie als Hure beschimpft, sie an ihre Herkunft erinnert, doch nie war er weiter gegangen. Bis zu diesem Tag am Fluss.
Die anderen Wölfe waren durch den Wald gestreunt, auf der Jagd für das Abendessen oder auf der Suche nach einem Nachtlager. Niemand war hier, um ihr zu helfen. Doch es war fraglich, ob einer von ihnen eingegriffen hätte, wenn er Zeuge dieses Überfalls gewesen wäre, denn alle fürchteten Charr. Er war der Stärkste, der Wildeste und wer sich ihm widersetzte, hatte schlechte Karten. Einen Wolf hatte er sogar verstoßen, davongejagt, bis über alle Berge.
„Das gefällt dir doch, du kleine Hure.“ Die Stimme in ihrem Kopf machte sie fast wahnsinnig. Charr hatte seine menschliche Gestalt angenommen und sie versuchte, unter ihm hervorzukommen, doch er drückte sie mit seinem Gewicht an den Boden. Jetzt spürte sie auch etwas an ihrem Hinterteil. Panisch fing sie an, zu winseln, zu knurren, mit den Händen im Boden zu scharren. Aber weil alles nichts half, warf sie sich mit ihm zur Seite, nutzte den Schwung aus und rollte mit ihm in den Fluss. Der Stoff ihrer Kleidung saugte das Wasser auf und Charr wurde von der Strömung ein Stück weit abgetrieben. Dann gelang es ihm, sich ans Ufer zu ziehen. Keira hielt sich mit den Händen an dem Ast eines umgekippten Baumes fest und rettete sich ebenfalls an Land. Doch ehe Charr zu ihr aufschließen konnte, rannte sie, so schnell sie konnte, in den Wald, schlug Haken und versteckte sich hinter einem Busch. Sie versuchte, die Stelle zu reinigen, zu der Charr versucht hatte, gewaltsam Zugang zu finden. Ekel überkam sie, aber auch Erleichterung, denn Charr hatte es nicht geschafft und das war ihr Triumph.
Sie wusste, dass die Wölfe sie gesucht hatten. Keira hatte sich in eine kleine Höhle zurückgezogen, die sie zufällig in der Nähe entdeckt hatte. Auf die Rufe der Werwölfe hatte sie sich nicht zu erkennen gegeben. Wahrscheinlich wollte Charr sie behalten, sie war das einzige Weibchen im Rudel und somit wertvoll für die Sippe. Aber Keira dachte nicht daran, zu diesem Bastard zurückzukehren. Sie war froh, Charr und die anderen los zu sein.
„Keira, wovor hast du Angst?“
Erschrocken blickte sie durch ein paar Zweige hindurch und realisierte, dass sie sich hinter einem Gebüsch versteckt hatte. Sie kauerte eng am Boden, zitterte und vor ihr hockte Killian, der wieder seine Menschengestaltangenommen hatte und eine Hand nach ihr ausstreckte, wie jemand, der das Vertrauen eines scheuen Tieres gewinnen will. Er war inzwischen wieder angezogen. Es schien, als fehlten ihr mehrere Minuten. Was war geschehen?
Keira versuchte, alle dunklen Gedanken abzuschütteln. Aber das war alles andere als leicht. Killian zwängte sich durch das Geäst und setzte sich neben sie. Sorge lag in seinem Blick.
„Was ist geschehen?“, fragte er.
Sie seufzte. „Ich weiß es nicht.“
„War es wieder ein Anfall?“
„Ich weiß es nicht“, beharrte sie. Es hatte sich nicht so angefühlt. „Ich muss jetzt gehen, sei mir nicht böse, ja?“
Er sah sie traurig an. Wahrscheinlich fühlte er sich zurückgewiesen. Es tat ihr leid. Doch sie war viel zu verwirrt, um ihm alles zu erklären. Sie war nicht mal sicher, ob er diese Geschichte überhaupt erfahren sollte. Sie kannte ihn doch noch nicht lange. Nur
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