Lykandras Krieger 3 - Wolfskriegerin (German Edition)
mächtigen Pranke abzubekommen. Da erschallte das gequälte Jaulen des Tieres, und als sie den Kopf drehte, um zu sehen, was just in dem Augenblick geschehen war, sah sie, dass der Vampir wieder auf den Beinen stand. Er hielt etwas in der Hand und dieses Etwas endete in der Schulter des Untiers. Dieses taumelte getroffen zurück, versuchte, sich die Klinge, die nun in seinem Fleisch steckte, aus dem Leib zu ziehen. Das Jaulen wurde stärker.
Auch der Vampir wich zurück. Sie sah, dass er eine tiefe Wunde an der Schläfe davongetragen hatte. Für einen Moment schien er zu überlegen, ob er sich ihr letztes Blut holte, aber da stand schon das Untier vor ihr, versperrte ihm den Weg und so floh er, kletterte auf das Lagerdach und verschwand im Dunkeln.
Keiras Herz raste ohne Unterlass. Sie konnte nicht glauben, was sie gesehen hatte und vor allem, dass sie noch am Leben war. Der Werwolf drehte sich zu ihr um und blickte sie an. Sein Gesicht war riesig, viel größer als der Schädel eines ausgewachsenen Pferdes. Doch seine Augen hatten etwas unsagbar Weiches, Sanftes, sogar Freundliches an sich. Sie wirkten menschlich. Er kauerte vor ihr, machte keine Anstalten, über sie herzufallen, sie zu fressen. Stattdessen hielt er sich mit einer Pranke die Schulter. Der Atem des Tieres war schwer, sehr langsam, es klang angestrengt und sie verstand.
Auf schwachen Beinen erhob sie sich, hielt sich an seinem zotteligen Fell fest und griff nach dem silbrig schimmernden Dolch, zog ihn heraus und warf ihn ins Hafenbecken. Der Werwolf sank auf die Knie. Sie konnte ihn nicht stützen, sie war viel zu schwach dafür.
„Du darfst nicht sterben“, flüsterte sie aufgeregt, ihre eigene Schwäche ignorierend. Er hatte ihr das Leben gerettet. Nun musste sie das Gleiche für ihn tun. Sie hockte sich neben ihn, riss sich ein Stück Stoff vom Unterrock ab und drückte diesen auf die Wunde, versuchte, die Blutung zu stillen. Der Werwolf kippte auf die Seite. Im ersten Moment glaubte sie, er sei tot, aber dann sah sie die mächtige Bewegung seines Brustkorbs. Er atmete.
London, 2010
A ntoine de Prusant liebte London bei Nacht, die Lich-ter in den Straßen und das ferne Hupen vorbeifah-render Autos. Er konnte stundenlang auf der Dachterrasse stehen und das Treiben der Menschen beobachten. Es besänftigte und beruhigte ihn. Und gerade jetzt konnte er ein wenig Ruhe gebrauchen. Die Vampirgesellschaft war in Aufruhr. Die Empathen unter ihnen hatten von seltsamen Träumen berichtet, welche von der Ankunft der Königin kündeten, was zu großen Unruhen und Verwirrungen unter den Vampiren geführt hatte. Lord Vasterian, der ehemalige Leibwächter Königin Pyrs und mächtigste Vampir, hatte ihn beauftragt, der Sache nachzugehen und Rat bei Ror zu suchen. Ror war ein machtvoller Empath, der uralt war, von dem man sehr wenig wusste, da er sich, was seine Person betraf, gern in Schweigen hüllte.
Wenn es stimmte, was man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, stand ihnen Großes bevor und Antoine spürte bereits die Euphorie, den Rausch der Macht und die Vorfreude auf die glorreiche vampirische Zukunft. All das, was er vor sich sah, wenn er von seiner Dachterrasse blickte, würde den Vampiren gehören. Und noch viel mehr. Die ganze Welt! Doch zunächst galt es, das Mysterium jener Träume zu klären. Träume, die von Dingen kündeten, die geschehen würden, waren in seiner Welt nichts Besonderes. Aber dass ein jeder, der empfänglich war, ein und denselben Traum geträumt hatte, war mehr als merkwürdig. Deswegen wurde dieses Phänomen auch von Lord Vasterian sehr ernst genommen. Antoine hatte alte Schriften studiert, um herauszufinden, ob es eine Prophezeiung gab, die von Pyrs Rückkehr kündete, die man vielleicht all die Jahre übersehen hatte. Doch er war in keiner alten Bibliothek noch irgendeiner anderen Sammlung fündig geworden. Das gab ihm Rätsel auf, und doch war er sicher, einer großen Sache auf der Spur zu sein. Er stützte sich auf das metallene Gitter, das als Brüstung fungierte, lehnte sich hinüber und seufzte lange. Ja, diese Lichter konnten beruhigen. Er hatte viele Jahrhunderte hinter sich, doch keines war so interessant wie dieses gewesen. All die neuen Errungenschaften, welche die Menschen zustande gebracht hatten, faszinierten ihn. Wenn erst die Vampire die Macht ergriffen, würde er großzügig sein und die fähigsten am Leben lassen, damit sie für ihn arbeiteten.
Es klingelte. „Machst du bitte auf?“, rief er in
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