Lykos (German Edition)
schmale Straße hinauf zu einer Burgruine Heinrichs des Löwen aus dem 12. Jahrhundert, deren Rekonstruktion seit Jahren voranschritt und die mittlerweile zu einer kleinen Attraktion in der Region geworden war. Ein uniformierter Kollege erwartete Straub und seine Kollegin Damm bereits und winkte ihnen kurz zu. Er stand am Anfang eines Weges, der in den Wald hineinführte und Teil eines weit verzweigten Netzes durch die bewaldeten Höhenzüge Salzgitters war. Straub und Damm stiegen aus dem Wagen aus und überquerten den Parkplatz. Einige Neugierige – zumeist Sportler – hatten sich hier eingefunden und standen, verschieden Vermutungen aussprechend, beieinander. Der Weg war inzwischen abgesperrt worden und die Spurensuche machte sich an die Arbeit.
Die beiden Kriminalpolizisten begrüßten den Kollegen und folgten ihm dann in den Waldweg. Straub fuhr sich durch das dunkle Haar und rückte sich seine modisch schmale Brille zurecht, die ihm ein jugendliches Aussehen verlieh, obwohl er schon in seinem vierzigsten Lebensjahr stand. Er war hochgewachsen, beinahe 1,90 Meter groß, schlank aber mit einem leichten Bauchansatz, wie er zu seinem eigenen Bedauern feststellte. Die Jogger, die sich hier schon am Morgen durch den Wald quälten, konnte er einfach nicht verstehen, obwohl ihm die Bewegung ebenfalls gut tun würde, wie seine Kollegin Angela ihm ständig bescheinigte. Sie war das genaue Gegenteil ihres Kollegen. Der Sport war neben der Arbeit eines der Hauptfelder in ihrem Leben. „Karate-Angela“ war nicht zufällig ihr Spitzname. Angelehnt war er an die Figur der „Karate Emma“ aus der britischen Kult-Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ aus den 60ern. Eigentlich übte sie das koreanische Taekwondo aus, aber die feinen Unterschiede zwischen diesen Kampfsportarten verstanden ihre Kollegen, die ihr irgendwann diesen Namen verpasst hatten, ohnehin nicht.
Im Gegensatz zu ihrem Kollegen Straub war sie recht zierlich und klein, dennoch besaß sie jene feste, selbstsichere Ausstrahlung, die oftmals bei Menschen in Erscheinung trat, die sich schon immer im Leben hatten durchsetzen müssen. Ihr blondes Haar war zu einem eher nachlässigen Pferdeschwanz gebunden, der fast den Saum ihrer taillierten Jeansjacke berührte. Sie beide arbeiteten schon eine geraume Weile zusammen. Ihre unterschiedlichen privaten Interessen hinderten sie jedoch nicht daran, ein ziemlich gut eingespieltes Team zu bilden – sie waren sich von Anfang an sympathisch gewesen. Angela Damm bewunderte den hervorragenden analytischen Verstand ihres Partners und Vorgesetzten, der manchmal regelrecht geniale Momente haben konnte. Sie selbst war mit Sicherheit nicht dumm, schließlich war sie die Beste ihres Jahrgangs für die gehobene Beamtenlaufbahn gewesen, aber Peter Straubs Scharfsinn, der ab und zu durchleuchtete, war ihr fast schon unheimlich.
Nach etwa 150 Metern zweigte ein kleiner Pfad von dem Weg ab und führte, steil abfallend, an einer kleinen Kuhle vorbei. Dichtes Gestrüpp und einige hohe Buchen säumten den Rand der Senke, in der mehrere Leute beschäftigt waren. Beamte der Spurensicherung in weißen Anzügen, die aussahen, als würden sie in einem Atomkraftwerk arbeiten, wuselten überall umher, steckten Holzstäbe mit Schildern, auf denen Nummer standen, in die Erde und fotografierten scheinbar jeden Zentimeter des Waldbodens an dieser Stelle. Mehrere uniformierte Polizisten riegelten auch hier das Gebiet ab und bildeten eine Kette am Rand der Senke.
Peter Straub und Angela Damm suchten sich eine möglichst flache Stelle, um hinunter in die Kuhle zu gelangen, wo sie bereits von einem weiteren Kollegen erwartet wurden. Holger Lirsch war Koordinator dieses Tatortes. Sein rotes Haar war mit einem Bürstenschnitt versehen und seine dichten Augenbrauen leuchteten einem geradezu in der selben Farbe entgegen. Seine ohnehin eher blasse Gesichtsfarbe war an diesem Morgen noch etwas fahler als sonst und der Ausdruck seiner Augen verriet den beiden Neuangekommenen nichts Gutes.
Lirsch führte sie an den Fundort, an dem die Umrisse eines Menschen unter einer hellen Plane zu erkennen waren. Einer der Spurensucher machte sich mit einer kleinen Glasampulle daran zu schaffen und sammelte Insekten. Die Plane wurde beiseitegezogen und gab einen selbst für die erfahrenen Polizisten grauenhaften Anblick frei. Ein männlicher Leichnam, vielleicht 60 oder 65 Jahre alt, lag zwischen blutverschmiertem Farn und Zweigen auf dem Rücken. Die Arme und
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