Lynne Graham
starren?“, fragte sie verärgert.
Lysander konnte sich an kein einziges Mal erinnern, bei dem eine Frau so feindselig auf sein Interesse reagiert hätte. Vor allem nicht eine so winzige Frau, dachte er amüsiert. Wahrscheinlich könnte er sie mit einer Hand hochheben.
„Auf die Stiefel?“, schlug er vor.
Seine tiefe, samtene Stimme jagte Ophelia einen prickelnden Schauer über den Rücken. Als sie auf seinen Blick traf, hatte dieser die Auswirkungen eines Erdbebens auf ihre Fassung. Ihr Mund wurde trocken, ihr Puls beschleunigte sich, ihr Herz schlug wild an ihre Rippen wie ein gefangener Vogel im Käfig.
„Ich habe eine Vorliebe für Stiefel“, fügte er noch träge hinzu. Der Familienanwalt stand stumm dabei und schaute mit wachsender Verwirrung von einem zum anderen. „Mit hohen Absätzen allerdings. Von Lehm und Gummi halte ich nichts.“
Ophelia hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie mit diesem doppeldeutigen, lasziven Ton umgehen sollte, sie wusste nur, dass ihre Wangen brennend heiß wurden. Wortlos ließ sie sich auf einem Sessel nieder und weigerte sich, Lysander noch einmal anzuschauen.
„Wir sollten anfangen“, meinte Lysander ungerührt.
Ophelia musste feststellen, dass sie nach dieser kurzen Vorstellung darauf hoffte, die Testamentsverlesung möge ein riesiges Loch in Lysanders Metaxis’ unglaubliches Ego schlagen. Und sie ärgerte sich über sich selbst. Wieso ließ sie zu, dass er sie so aufrieb?
„Vorab möchte ich einen Punkt klarstellen“, hob Donald Morton angespannt an. „Dieses Testament wurde vor vier Monaten aufgesetzt, als Mrs. Stewart sicher wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte. Da sie die Möglichkeit einer gerichtlichen Anfechtung ausschließen wollte, unterzog sie sich vorher einer genauesten psychiatrischen Untersuchung. Mrs. Stewart war im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, wie die Diagnose bestätigt.“
Ophelias ungute Ahnung wurde stärker. Dieses Testament musste ziemlich ungewöhnlich sein. Sie hoffte nur, sie würde sich gleich nicht in einer extrem peinlichen Situation wiederfinden. Allerdings konnte sie sich auch nicht vorstellen, weshalb sie sich bei der Metaxis-Familie entschuldigen sollte.
„Ich vermache“, begann der Notar aus dem Testament vorzulesen, „Ophelia Carter, meiner Enkelin, und Lysander Metaxis Madrigal Court zu gleichen Teilen, unter der Bedingung, dass sie heiraten …“
„Heiraten?“, fiel Lysander dem Anwalt ungläubig ins Wort, während Ophelia schockiert die Augen aufriss und zur gleichen Zeit ausstieß: „Das ist ja lächerlich!“
„Ich fürchte, dieses Testament ist in der Tat höchst ungewöhnlich. Man hat versucht, Mrs. Stewart davon abzubringen, aber die alte Dame hatte sehr genaue Vorstellungen von den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit das Erbe angetreten werden kann. Die Ehe muss mindestens ein Jahr dauern, und Sie beide müssen für die Dauer Ihrer Ehe auf dem Anwesen wohnen.“
Das war das Verrückteste, was Ophelia je gehört hatte! Eine Ehe! Nach allem was passiert war, war allein die Vorstellung ein unglaublicher Affront auf ihren Stolz. Während die Welt ihren Gang ging, war Gladys Stewart in der bitteren Vergangenheit verhaftet geblieben, als Aristide Metaxis Ophelias Mutter Cathy vor über dreißig Jahren vor dem Hochzeitsaltar versetzt hatte.
Das große gesellschaftliche Ereignis, das Gladys mit Stolz erfüllen sollte, war zu einer Erniedrigung der ganzen Familie geworden. Kurz vor der Erfüllung all ihrer Ambitionen, ihre Tochter mit einem gesellschaftlich hoch stehenden und vermögenden Mann zu verheiraten, war die Seifenblase geplatzt. Aristide Metaxis hatte sich für Virginia Waveney entschieden, ein Mädchen aus dem verarmten Adel, deren Familie damals im Pförtnerhaus von Madrigal Court lebte. Unglücklicherweise rieben sich damals viele vor Schadenfreude mehr oder weniger stumm die Hände über Gladys’ Qual, denn besonderer Beliebtheit hatte sie sich nie erfreut. Gladys hatte Wut und Gram in sich hineingefressen und sich davon vergiften lassen.
„Eine Heirat ist keine Option.“ Für diesen verrückten Vorschlag hatte Lysander nichts als kühle Verachtung übrig.
Die Herablassung in seiner Stimme ließ Ophelias Nackenhärchen zu Berge stehen. Pikiert schüttelte sie den Kopf. „Absolut undenkbar! Selbst wenn man mich gefesselt und geknebelt zum Altar zerren würde. Er ist ein Metaxis!“
Der Anwalt schaute sie mit offenem Mund an. „Versuchen Sie Ihre Vorliebe für
Weitere Kostenlose Bücher