Lyonesse 2 - Die grüne Perle
einem Stück Papier, auf dem steht, daß Ihr König über uns seid. Alles schön und gut, so werden derlei Dinge wohl gehandhabt, aber was wißt Ihr vom Leben in den Mooren? Habt Ihr je unsere harten Tage und unsere bitteren Nächte geschmeckt oder Euch an einen Feind herangeschlichen, um ihm die Gurgel durchzuschneiden, ehe er Euch die Gurgel durchschneidet? Trotzdem müssen wir Euren Befehlen gehorchen. Steckt in alldem nicht ein Widersinn? Und ich frage das in aller Freundlichkeit.«
»Sir Hune, 's ist ein redliches Gefühl, welches Ihr da empfindet, und eine redliche Frage, die Ihr stellt. Ihr seid fürwahr ein wackerer Mann, und ich würde nicht mit Euch ringen wollen. Hättet Ihr Lust, in einem Wettlauf gegen mich anzutreten? Der Verlierer muß den Sieger auf den Schultern zurücktragen.«
Sir Hune lachte dröhnend und hieb auf die Tischplatte. »Ich verstehe nicht viel vom Rennen. Ist es das, was Ihr Eure Soldaten lehren wollt?«
»Sie werden allerdings rennen, wennschon nicht in der Schlacht. Und was das Leben in diesen Mooren anbelangt, so weiß ich mehr davon, als Ihr glauben mögt. Wenn Ihr wollt, werde ich Euch die Geschichte irgendwann einmal erzählen.«
Sir Hune deutete auf die in Gruppen zusammenstehenden Barone. »Hört meine Worte! Wenn Ihr hofft, den Zwisten und Händeln ein Ende machen zu können, wenn Ihr die mitternächtlichen Ausfälle und Eskapaden ausrotten wollt – nun denn, junger König, dann werdet Ihr sehr bald feststellen, daß Ihr Euch eine undankbare Aufgabe gesetzt habt.« Sir Hune drehte sich um und deutete mit dem Daumen über die Wiese. »Seht sie Euch an, wie sie da in ihren Grüppchen zusammenstehen; jeder Clan für sich! Jeder einzelne strahlt durch seinen Rücken Haß aus gegen die, die ihm über Generationen hinweg Unrecht angetan haben! Und sagt, junger Mann: Was haben wir sonst, wofür es sich zu leben lohnte, wenn nicht die Jagd und die Hatz, den Raub und die Schändung und das fröhliche Hinmetzeln des Feindes? So ist unser Leben; es ist unsere Art, und ein anderes Vergnügen haben wir nicht.«
Aillas lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Es ist das Leben eines Tieres. Habt Ihr keine Söhne und Töchter?«
»Ich habe vier von beidem, und zwei Söhne sind schon tot, und dort drüben steht ihr Mörder. Bald werde ich ihn ergreifen und ihn an mein Tor nageln und zu Abend speisen, während er verreckt.«
Aillas erhob sich. »Sir Hune, ich mag Euch, und wenn Ihr diese Tat begeht, werde ich Euch mit großem Bedauern aufhängen. Viel lieber würde ich Eure Kraft und die Eurer Söhne für meine Armee nutzen.«
»Ihr würdet mich hängen? Und was ist mit Dostoy dort drüben, der meine Söhne mit seinen schändlichen Pfeilen getötet hat?«
»Und wann geschah diese Missetat?«
»Letzten Sommer, vor der Brunstzeit.«
»Und bevor ich meine allgemeinen Bestimmungen erließ. Grießwärtel, ruft die Männer noch einmal zusammen.«
Wieder sprach Aillas zu den Baronen, und diesmal stand er auf den Knauf seines Schwertes gelehnt. »Ich habe mit Sir Hune gesprochen, der eine Klage gegen Sir Dostoy vorgebracht hat.«
Aus der Mitte der Barone erhob sich schallendes Gelächter, gefolgt von einem Schrei: »Wie kann es dieser bösartige Halunke wagen, sich in irgendeiner Weise zu beschweren, ausgerechnet er, dessen Hand vom Blute Unschuldiger nur so trieft?«
Aillas sprach: »Das Morden muß ein Ende haben. Ich habe den Zeitpunkt dafür bereits festgelegt. Ich tue es noch einmal, in einer Sprache, die ihr alle verstehen könnt. Wer mordet, wer tötet, es sei denn in Notwehr – der wird gehängt. Ich werde Recht und Gesetz nach Süd-Ulfland bringen, und je eher ihr begreift, daß es mir ernst damit ist, desto besser für uns alle. Ich brauche tapfere Kämpen in meiner Armee; ich will nicht, daß sie sich gegenseitig umbringen, und ich will auch nicht meine Zeit damit vergeuden, alle Barone des Moorlandes aufzuhängen. Aber wenn ich muß, dann muß ich! Geht nun nach Hause und denkt gut über meine Worte nach!«
III
Sobald Aillas wieder in Ys eingetroffen war, suchte er das Lager nach Shimrod ab, jedoch ohne Erfolg. Er schickte einen Adjutanten los, die Hafentavernen zu durchforsten, aber zu seinem Verdruß war Shimrod nirgends zu finden. Mehrere Dinge beschäftigten ihn. Erstens hatte er im stillen die Hoffnung gehegt, daß Shimrod ihm vielleicht mit irgendeinem kleinen Zauber beispringen werde – einem Bannspruch der vorübergehenden Sanftmut vielleicht, zur Verwendung
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