Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Aufruhr erfüllter Platz, oft Schauplatz spornstreichs entstandener Pferderennen – denn für irgendeinen Wettstreit waren die Kelten immer zu haben.
In Dun Cruighre herrschte ein lebhaftes Kommen und Gehen, denn es war durch beständigen Schiffsverkehr mit Irland und Britannien verbunden. Ein christliches Kloster der Bruderschaft des heiligen Bac konnte sich eines ganzen Dutzends bekannter Reliquien rühmen und lockte Hunderte von Pilgern an. Schiffe aus fernen Ländern lagen an den Docks, und Händler errichteten Stände, an denen sie ihre Importe feilboten: Seide und Baumwolle aus Persien, Jade, Zinnober und Malachit aus verschiedenen Ländern, duftende Wachse und Palmölseife aus Ägypten, byzantinisches Glas und Fayencen aus Rimini – das alles im Austausch gegen keltisches Gold, Silber oder Zinn.
Die Gasthäuser in Dun Cruighre waren mäßig bis gut – ein gutes Stück besser jedenfalls, als man hätte erwarten mögen; dies war den wandernden Priestern und Mönchen zu verdanken, denn sie hatten einen anspruchsvollen Geschmack, und in ihren Beutel pflegten die Münzen zu klimpern. Die bestbeleumdete Schänke in Dun Cruighre war der Blaue Ochse; hier gab es Einzelkammern für die Wohlhabenden und Strohschütten in einem Speicher für die Armen. Im Gastraum drehten sich beständig Hühner am Spieß, und Brot kam stets frisch aus dem Ofen. Reisende erklärten nicht selten, daß ein fettes Brathuhn, gefüllt mit Zwiebeln und Petersilie, mit frischem Brot und Butter und einem oder zwei Krüglein von dem Bier, das im
Blauen Ochsen
gebraut wurde, eine Mahlzeit sei, wie man sie auf den Älteren Inseln besser nirgends finden könne. An schönen Tagen standen Tische draußen vor dem Gasthaus; hier konnten die Gäste essen und trinken und dem Treiben auf dem Platz zusehen, was in dieser lärmenden Stadt niemals langweilig wurde.
An einem solchen schönen Vormittag setzte sich ein Mann von untersetzter Gestalt in einer braunen Kutte an einen der Tische, die draußen vor dem
Blauen Ochsen
standen. Er hatte ein selbstbewußtes schlaues Gesicht, runde wachsame Augen und eine stumpfe Nase, und sein Ausdruck zeigte heiteren Optimismus. Mit geschickten weißen Fingern und ernsthaftem Schnappen der kleinen weißen Zähne verschlang er erst ein Brathuhn und dann ein Dutzend Honigkuchen, und dazu trank er in tiefen Zügen Met aus einem Zinnkrug. Der Zuschnitt und der ausgezeichnete Stoff seiner Kutte ließen auf klerikale Zugehörigkeit schließen; aber der Herr hatte seine Kapuze zurückgestreift, und auf dem einst sauber rasierten Kopf sproß braunes Haar wie eine Bürste.
Aus dem Gastraum der Taverne kam ein junger Mann von aristokratischer Erscheinung – groß und kräftig, glattrasiert und klaren Blicks, mit einem Ausdruck von ruhiger Gutmütigkeit, als sei die Welt für ihn gerade der rechte Ort zum Leben. Seine Kleidung war lässig: ein loses Hemd aus weißem Linnen, eine Hose aus grauem Köper und eine bestickte blaue Weste. Er schaute nach links und nach rechts und näherte sich dann dem Tisch, an dem der Herr in der Kutte saß. »Mein Herr«, begann er, »darf ich mich zu Euch setzen? Die anderen Tische sind besetzt, und wenn es möglich wäre, genösse ich an einem so schönen Morgen gern die frische Luft.«
Der Herr in der Kutte machte eine ausladende Gebärde. »Nehmt nur immer Platz, wo es Euch beliebt. Und erlaubt mir, den Met zu empfehlen; er ist süß und stark, und auch die Honigkuchen sind tadellos. Wahrhaftig, ich gedenke mich gleich ein zweitesmal mit beidem vertraut zu machen.«
Der Neuankömmling ließ sich auf einen Stuhl nieder. »Die Regel Eures Ordens ist offensichtlich großmütig und nachsichtig.«
»Haha! Ganz im Gegenteil – die Verbote sind streng, und die Strafen sind hart. Es waren meine Verstöße dagegen, die dazu führten, daß ich aus dem Orden verstoßen wurde.«
»Hmm, dies scheint mir doch eine übertriebene Reaktion zu sein. Ein Schlückchen Met oder zwei, ein Häppchen Honigkuchen – was schadet das?«
»Nichts, überhaupt nichts!« rief der ehemalige Priester aus. »Ich muß ja zugeben, die Sache reichte schon ein wenig tiefer, und vielleicht werde ich sogar einen neuen Orden gründen, ohne diese strengen Einschränkungen, die einem die Religion oft sosehr verleiden. Ich zögere nur, weil ich nicht als Ketzer gebrandmarkt werden möchte. Seid Ihr selbst Christ?«
Der junge Mann machte eine verneinende Gebärde. »Vor den Gedankengebäuden der Religion stehe ich
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