Lyonesse 3 - Madouc
daß sein Geist vor ihnen zurückzuckte wie die Wedel einer empfindlichen Pflanze.
Audry warf die Hände hoch in die Luft. Alles würde gut werden; alles andere war undenkbar! Probleme löste man am besten, indem man sie ignorierte! Hier war die vernünftige Philosophie; man würde doch irre werden, wenn man versuchte, jeden Defekt im Universum zu beheben!
Solchermaßen gestärkt, rief Audry seine Kammerdiener herein. Sie setzten ihm einen feschen Hut mit einer neckischen Spitze und einer scharlachroten Feder auf den Kopf; Audry blähte seinen Schnurrbart auf und schritt aus dem Gemach.
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Das Königreich Lyonesse erstreckte sich über den Süden von Hybras, vom Kantabrischen Golf bis zum Kap des Wiedersehens am Atlantischen Ozean. Von seiner auf der Rückseite der Stadt Lyonesse gelegenen Burg Haidion aus regierte König Casmir sein Reich mit einer Gerechtigkeit, die kraftvoller war als die von König Audry. Casmirs Hof war gekennzeichnet von exaktem Protokoll und gestrenger Etikette; eher Pomp denn prahlerisches Gepränge oder festliche Fröhlichkeit diktierte das Wesen der Dinge auf Haidion.
Casmirs Gemahlin war Königin Sollace, eine große, träge Frau, die fast so lang wie Casmir war. Sie trug ihr feines, gelbblondes Haar in dicken Bündeln auf dem Kopf zusammengerafft und badete nur in Milch, um ihre weiche weiße Haut nur ja auf das allerbeste zu pflegen. Casmirs Sohn und gesetzmäßiger Thronerbe war der schneidige Prinz Cassander; ferner gehörte zur königlichen Familie die Prinzessin Madouc, vermeintlich die Tochter der tragischen Prinzessin Suldrun, die nun seit neun Jahren tot war.
Burg Haidion beherrschte die Stadt Lyonesse vom Kamm einer niedrigen Anhöhe aus; von unten präsentierte sie sich als ein verschachteltes Gefüge aus wuchtigen Steinblöcken, welches überragt wurde von sieben Türmen unterschiedlicher Bauart und Form: der Lapadiusturm 5 , der Hohe Turm 6 , der Königsturm, der Westturm, der Eulenturm, der Palaemonturm und der Ostturm. Die massige Struktur im Verein mit den Türmen verlieh Haidion eine Silhouette, die, wiewohl archaisch, überspannt und bar jeder Anmut, in starkem Kontrast zu der feinen Fassade von Falu Ffail in Avallon stand.
In gleicher Weise stand die Person König Casmirs in schroffem Gegensatz zu der von König Audry. Casmirs Hautfarbe war von einem gesunden, frischen Rot; er schien geradezu zu pulsieren von kräftigem roten Blut. Sein Haar und Bart waren ein struppiges Gewirr aus dicken goldblonden Ringellocken. Audrys Gesichtsfarbe hingegen war bleich wie Elfenbein, und sein Haar war von einem satten, tiefen Schwarz. Casmir war stämmig, ausgestattet mit einem kräftigen, stiernackigen Hals und einem massigen Rumpf. Seine runden, porzellanblauen Augen starrten aus einem platten, strengen Gesicht. Audry, wenngleich hochgewachsen und von fülliger Körpermitte, war von gemäßigter Positur und nicht ohne Anmut.
Den Höfen beider Könige mangelte es nicht an königlichem Komfort; beide genossen ihre Vergnügungen, aber während Audry die Gesellschaft seiner Schranzen und Günstlinge beiderlei Geschlechts pflegte, kannte Casmir keine Vertrauten und hielt auch keine Maitressen. Einmal wöchentlich stattete er dem Schlafgemach Königin Sollaces einen würdevollen Besuch ab und legte sich auf ihren fülligen und trägen weißen Leib. Bei anderen, weniger förmlichen Anlässen behalf er sich dergestalt, daß er sich auf dem zitternden Körper eines seiner hübschen Pagen Erleichterung verschaffte.
Die Gesellschaft, die Casmir am meisten liebte, war die seiner Spitzel und Informanten. Aus eben diesen Quellen erfuhr er von Aillas' unnachgiebigem Auftreten auf Poëlitetz fast ebenso bald, wie König Au-dry selbst Kunde davon bekommen hatte. Wenngleich die Nachricht Casmir keinesfalls überraschte, so erregte sie doch sein heftiges Mißvergnügen. Früher oder später beabsichtigte er nämlich in Dahaut einzufallen, die dautischen Heere zu vernichten und seine Stellung dortselbst zu konsolidieren, ehe Aillas seine eigene Macht wirkungsvoll zur Geltung bringen konnte. Die Tatsache, daß Aillas sich auf Poëlitetz festgesetzt hatte, erschwerte die Situation freilich, konnte er doch unverzüglich mit ulfischen Truppen einen Gegenangriff über die Marsch vortragen, was eine rasche Kriegsentscheidung zu seinen, Casmirs, Gunsten mehr als fraglich erscheinen ließ. Kein Zweifel: die Gefahr, die die Feste Poëlitetz darstellte, mußte beseitigt werden.
Dies war kein
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