Lyonesse 3 - Madouc
trank aus dem Buchenholzbecher und stellte ihn hart auf den Tisch. Seine Geschicke befanden sich keinesfalls im Aufschwung. Torqual, auf den er so große Hoffnungen gesetzt hatte, hatte sich als launenhaft und vermutlich auch als unbrauchbar erwiesen. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er von Sinnen. Auf Poëlitetz hatte Aillas sich festgesetzt und behinderte Casmirs hochfliegende Pläne. Doch es gab noch eine andere, viel brennendere Sorge, die an Casmirs Seele nagte: die Weissagung, die der Magische Spiegel Persilian viele Jahre zuvor geäußert hatte. Die Worte hatten nie aufgehört, in Casmirs innerem Ohr zu klingen:
Suldruns Sohn wird, bevor sein Leben verronnen ist, an seinem rechtmäßigen Platz an Cairbra an Meadhan sitzen. Und wenn er so sitzet und gedeiht, dann wird er, zu Casmirs Weh, den Runden Tisch und Evandig, den Thron, zu eigen sich machen.
Die Worte der Prophezeiung hatten Casmir von Anfang an verblüfft. Suldrun hatte ein einziges Kind geboren: die Prinzessin Madouc – so hatte es zumindest geschienen –, und Persilians Weissagung mußte mithin als schierer Unsinn anmuten. Aber Casmir wußte, daß dies nimmer sein konnte, und am Ende war die Wahrheit ans Licht gekommen, und Casmirs Pessimismus hatte sich als gerechtfertigt erwiesen. Suldruns Kind war in der Tat ein Knabe gewesen, welchen die Elfen von Thripsey Shee gestohlen und durch ein unerwünschtes Elfenbalg ersetzt hatten. Unwissentlich hatten König Casmir und Königin Sollace den Wechselbalg aufgezogen und ihn der Welt als ›Prinzessin Madouc‹ präsentiert.
Persilians Weissagung war nunmehr kein Paradoxon mehr und deshalb um so bedrohlicher. Casmir hatte seine Agenten ausgeschickt, auf daß sie Nachforschungen anstellten, aber vergeblich: Suldruns Erstgeborener war nirgends zu finden.
Im Raum der Seufzer sitzend, den Buchenholzbecher mit schwerer Hand umklammernd, marterte Casmir einmal mehr sein Hirn mit derselben Frage, die er sich schon tausendmal gestellt hatte: »Wer ist dieses dreimal verfluchte Knabe? Wie heißt er? Wo hält er sich auf? Ah, kurzen Prozeß würde ich mit ihm machen, wüßte ich nur, wo er sich verbirgt!«
Wie immer brachten die Fragen keine Antworten, und seine Verwirrung blieb bestehen. Was Madouc betraf, so war sie seit langem schon als die Tochter von Suldrun akzeptiert, und es war zu spät, um sie jetzt noch zu verstoßen. Um ihr Vorhandensein zu legitimieren, hatte man eine romantische Mär ausgeheckt, von einem edlen Rittersmann, geheimen Stelldicheins im alten Garten, glühenden Heiratsschwüren im Mondenschein und schließlich dem Säugling, der zu der entzückenden kleinen Prinzessin herangewachsen war, dem Liebling des Hofes. Die Geschichte war so gut wie jede andere, und in der Tat entsprach sie ja auch beinahe der Wahrheit – bis auf die Identität des Säuglings natürlich. Was die Identität von Suldruns Geliebtem anbelangte, so kannte sie niemand, und es scherte sich auch keiner mehr darum, ausgenommen König Casmir, der in seiner rasenden Wut den unglückseligen jungen Mann in ein Verlies geworfen hatte, ohne auch nur seinen Namen zu erfragen.
Für Casmir war Prinzessin Madouc nur ein Ärgernis. Nach geltender Lehre verloren Elfenkinder, so sie mit Menschenspeise genährt wurden und in menschlicher Umgebung lebten, allmählich ihre Halblingsanlagen und gingen ins Reich der Sterblichen ein. Manchmal jedoch hörte man auch andere Geschichten, von Wechselbälgern, die sich niemals anpaßten und sonderbare wilde Wesen blieben: launisch, verschlagen und streitsüchtig. Casmir fragte sich gelegentlich, zu welcher Sorte wohl die Prinzessin Madouc gehören mochte, unterschied sie sich doch in der Tat von anderen Mädchen am Hofe und offenbarte mitunter Charakterzüge, die Verblüffung und Unbehagen in ihm auslösten.
Zu dieser Zeit wußte Madouc noch nichts von ihrer wahren Herkunft. Sie hielt sich für die Tochter von Suldrun: so hatte man es sie gelehrt; warum sollte sie anderes glauben? Gleichwohl gab es mißtönende und widersprüchliche Elemente in den Berichten, die von Königin Sollace und den Damen, die dazu bestellt worden waren, sie in höfischer Etikette zu schulen, vorgelegt wurden. Diese waren Lady Desdea und Lady Marmone. Madouc konnte beide nicht ausstehen; jede versuchte, sie in dieser oder jener Weise zu verändern, ungeachtet ihrer Entschlossenheit, zu bleiben, wie sie war.
Madouc war jetzt ungefähr neun Jahre alt. Sie war ruhelos und lebhaft, langbeinig und
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