Macabros 006: Horror-Trip
von ihrem
Gespräch, das sie mit George gestern abend vor dem Weggehen ins
Theater noch geführt hatte. »Ich sollte nicht darüber
sprechen«, leitete sie diese Ausführungen ein »aber
ich muß es einfach! Herzschlag? Das ist die offizielle
Verlautbarung. Es war kein Herzschlag, ich glaube jedenfalls nicht
daran. Zuviel Mystisches spielt dabei eine große Rolle,
Oliver.«
Er hörte ihr aufmerksam zu. Sie schenkte während des
Erzählens jedem einen Sherry ein.
Als sie geendet hatte, schloß sie die Schubfächer des
Schreibtisches auf, an dem George Beard oft gesessen und manchmal bis
in die Nacht hinein gearbeitet hatte. Hier lagen nicht nur
Arbeitspapiere, sondern auch private Niederschriften, die Beard
über seine okkulten Forschungen angefertigt hatte.
Aus den Gesprächen mit dem Arbeitskollegen wußte
Oliver, daß George Beard ein ungewöhnlicher und seiner
Meinung nach etwas verschrobener Mensch gewesen war. Die Ansichten,
die er im persönlichen Gespräch oft vertrat, waren mehr als
erstaunlich gewesen.
George war ein Träumer, ein weltabgeschiedener Spinner. Das
war die Meinung derjenigen gewesen, die enger mit ihm Kontakt hatten.
Für ihn gab es mehr als diese Welt, mehr als den Alltag, den
jeder um sich herum wahrnahm.
George Beard hatte ernsthaft den Versuch unternommen, mit
jenseitigen Mächten in Verbindung zu treten und hatte die
Bekanntschaft außergewöhnlicher Menschen, die sich mit
ähnlichen Phänomenen beschäftigten, gesucht und auch
immer wieder gefunden. Trotz dieser verträumten Richtung in
seinem Leben hatte er seinen Beruf, der Sachlichkeit und
Nüchternheit erforderte, ausgefüllt. Er war Ingenieur mit
Leib und Seele gewesen.
»Ich habe bis in der letzten Nacht niemals zuvor in Georges
privatem Bereich herumgeschnüffelt. Zwar hat er oft
erwähnt, daß er beabsichtige, eines Tages mal ein Buch
über seine okkulten Forschungen zu schreiben. Er hat
tatsächlich damit angefangen, und erstaunlicherweise ist es so,
daß er hier in Kalkutta den Anstoß dazu erst richtig
bekommen hat durch seine Bekanntschaft mit Ajit Lekarim. Ich habe die
Texte von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen. Er schreibt darin
von einem Haus auf dem Hügel, in das er gemeinsam mit Lekarim
oft gegangen ist. Ein alter Mann soll dort wohnen, der sich mit
mystischen Dingen befaßt. George hat den Weg zu diesem Haus so
genau beschrieben, daß ich dorthin gegangen bin.«
Oliver Turnborgh sah sie erstaunt an.
»Ich habe heute nacht nicht eine einzige Stunde geschlafen,
ich habe die ganze Nacht gelesen. Und heute morgen, kaum daß
die Sonne aufgegangen war, habe ich mich auf den Weg gemacht und das
Haus auf dem Hügel gesucht. Ich habe es gefunden. Es ist
verschlossen, und niemand lebt dort. Ich möchte mir das Haus
näher ansehen, Oliver. Ich brauche jemand, der mir hilft.«
Sie hob den Blick. Festigkeit, Kraft und Energie sprachen aus ihrem
Blick und ihrem edel geschnittenen Gesicht. »George hat mir
strengstens verboten, etwas zu unternehmen. Aber so kann ich nicht
leben, Oliver!
George starb nicht an einem Herzschlag, George
wurde bedroht! Von wem, Oliver? Das möchte ich herausfinden.
George hatte Angst. Er hat etwas gesehen, was ihn zur Flucht
veranlaßte. Gestern abend noch glaubte ich, er sei verwirrt
oder geisteskrank. Aber nun bin ich fast versucht anzunehmen,
daß George ein armer, bedrängter Mensch gewesen ist, der
Hilfe brauchte. Was gibt es im Haus auf dem Hügel, Oliver? Ich
möchte es ergründen. Ich kriege das merkwürdige
Gefühl nicht los, daß dort das Geheimnis liegt, das George
Beard zum Schicksal geworden ist. Ich muß es herausfinden.
Nicht eher werde ich aus Kalkutta abreisen.«
*
Oliver Turnborgh gab ihr das Versprechen, sie zu begleiten. Aber
er konnte dieses Versprechen erst am Nachmittag einlösen. Einen
halben Tag brauchte er noch, um die einzelnen Baustellen zu
inspizieren. Er versprach, gegen vier Uhr wieder zu kommen. Das tat
er dann auch.
Raquel Beard trug einen leichten, dunklen Mantel über einem
kurzen, schwarzen Kleid.
Oliver Turnborgh kam mit seinem Wagen. Der Ingenieur bewunderte
die Energie dieser Frau, die nicht daran glaubte, daß ihr Mann
auf natürliche Weise ums Leben gekommen war.
Er selbst, Turnborgh, hatte mit eigenen Augen einen Teil des
Dramas miterlebt. Er war Zeuge des Geschehens im Theater geworden.
George Beard mußte den Verstand verloren haben.
Oliver Turnborgh hatte darum gebeten, auch ihm einen Einblick in
die privaten Aufzeichnungen seines
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