Macabros 009: Blutregen
Berry
Tuth. Er stand noch ganz unter dem Eindruck der Vorgänge, die er
nicht begriff.
Baring riß die Lampe herum. Die Tür war verschlossen.
»Sie ist nicht hinausgegangen«, sprach Berry Tuth tonlos.
»Dazu hatte sie keine Zeit. Die Tür hat sich nicht bewegt.
Wir hätten etwas gehört.«
»Etwas hat sie mitgenommen«, glaubte Ernie Garet. Aller
Augen richteten sich auf ihn. »Etwas wurde befreit. Sie hat es
nicht gewollt. Aber wir haben es alle gespürt, das Unheimliche,
das sich in unsere Herzen schlich.«
Er beschrieb es genau. Baring nickte.
»Wir müssen sie zurückholen!« Noch
während Tuth dies sagte, wurde ihm bewußt, wie unsinnig
diese Bemerkung eigentlich war.
Baring lachte bitter. »Zurückholen? Wir wissen nicht
einmal, wo sie sich aufhält.« Er schluckte. »Es sei
denn…«, fügte er plötzlich an, als wäre ihm
eine ganz bestimmte Idee gekommen. »Es sei denn, wir hätten
es bei Camilla Davies mit einem Mehrfachtalent zu tun. Wenn sie
über telekinetische Kräfte verfügt, dann könnte
ohne weiteres möglich sein, daß…« Er unterbrach
sich und richtete seinen Blick auf die Tür. Er wollte darauf
zugehen, aber er war wie erstarrt, als er ein Geräusch
vernahm.
Schritte…
Jemand kam von außen auf die Tür zu.
*
Sie rührten sich nicht von der Stelle.
Die Schritte verstummten.
Es klopfte.
Baring schluckte. »Ja?« fragte er schließlich, und
seine Stimme klang, als käme sie aus dem Kellerraum unter seinen
Füßen.
Die Klinke wurde von draußen herabgedrückt.
»Camilla?« Barings Frage klang unwirklich, und Baring
dehnte die Silben eigenartig in die Länge, als glaubte er selbst
nicht daran, was er erhoffte.
Aber es war nicht Camilla.
Ein Mann stand auf der Schwelle.
Er war großgewachsen, breitschultrig, schmale Hüften.
Er trug eine Wildlederjacke mit Biberpelzkragen.
Der fremde Besucher war blond und sah gut aus.
»Wer sind Sie?« brachte Christopher Baring hervor.
»Hellmark – mein Name ist Björn Hellmark. Guten
Abend, meine Herren!«
*
Sie hatte die Augen geschlossen und glaubte zu schweben.
Camilla Davies’ Augenlider zuckten. Sie öffnete sie.
Es war, als ob sie aus einem tiefen Traum erwachte. Sie glaubte zu
Hause in ihrem Bett zu liegen.
Mechanisch hob sie den Arm und tastete nach dem Schalter ihrer
Nachttischlampe.
Aber da war nichts.
Sie zuckte zusammen und war von einem Augenblick zum anderen
hellwach.
Die Luft war warm, fast schwül.
Dunkelheit umgab sie.
Die hübsche Engländerin lag auf dem Boden. Der war
weich.
Da bewegte sich etwas neben ihr.
Sie hörte es rascheln.
In der Dunkelheit gab es noch etwas, das schwärzer war.
Als sie ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, konnte
sie nicht glauben, was sie wahrnahm. Sie erschrak nicht, als das Tier
mit seiner Schnauze gegen ihren Kopf stieß und schnupperte.
Sie lag in einem Stall.
Ein Rind teilte die Behausung mit ihr.
Ein Traum?
Nein, Wirklichkeit!
Camilla Davies kam auf die Beine, und die feuchte Schnauze des
Rindviehs stieß ihr ins Gesicht.
Das Medium erinnerte sich daran, was geschehen war.
Es klang in ihr nach wie ein Ton, der nicht vergehen wollte.
Sie kam auf die Beine und überlegte, wo es wohl in der
Umgebung von London Rinder geben könne.
Vielleicht ganz in der Nähe von »Cork’s
House«?
Camilla fuhr sich durch die Haare. Sie war zu klaren
Überlegungen fähig und wunderte sich gar nicht so sehr
über die andere Umgebung, weil sie ahnte, was bei dem
Zusammenstoß mit der gewaltigen geistigen Kraft passiert sein
konnte.
Sie war woanders angekommen. Da sie selbst in ihrem jungen Leben
schon soviel Merkwürdiges erlebt hatte, wunderte sie sich
über gar nichts mehr. Sie hatte über solche Fälle
schon gelesen. Ein Fall, der in der jungen Geschichte der
Parapsychologie große Aufmerksamkeit gefunden hatte, war die
Sache mit dem Marchese. Auf einem Schloß in Italien war
während einer spiritistischen Sitzung das Medium – der
Marchese S. – plötzlich verschwunden. Stunden später
fand man den Verschwundenen schlafend auf einem Heuhaufen
außerhalb des Gebäudekomplexes wieder. Er wußte
nicht, wie dies zustandegekommen war.
Es gab keinen Zweifel: ihr war es ähnlich ergangen.
Professor Baring würde wohl schon verzweifelt nach ihr
suchen. Sie mußte ihm entgegengehen.
Mechanisch klopfte sie ihre Kleidung ab, ließ ihre Rechte
über den warmen Leib des Tieres gleiten und ging dann auf die
Tür zu.
Sie drückte sie nach außen.
Es war eine
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