Macabros 011: Im Leichen-Labyrinth
Mund.
Unheimliche Gestalten kamen ihr entgegen.
Aus dem Dunkeln schoben sich zu Haut und Knochen gewordene
Gespenster. Ein Geruch von Verwesung und Erde schlug ihr
entgegen.
»Du… mußt… fliehen!« Das war die Stimme
ihres Mannes. Sie klang gedämpft, kraftlos. Alois war von
lebenden Leichen umringt…
Eine schlug zu. Martha hörte, wie etwas dumpf auf den Boden
fiel, und sie wußte, daß es nur ihr Mann sein konnte.
Eine Knochenhand schoß auf sie zu. Die Finger mit den
langen, spitzen Fingernägeln gruben sich wie Nadeln in das
Fleisch ihres Armes.
Martha Koller zuckte zurück.
Die Fingernägel des Angreifers rissen ihr die Haut auf. Das
Nachthemd zerriß.
Die Treppe nach oben, schoß es ihr durch den Kopf…
Sie handelte ohne zu überlegen, ohne zu denken.
Sie warf sich gegen die Tür. Die flog nach vorn, aber sie
klappte nicht mehr ins Schloß. Da waren die langen, furchtbaren
Arme mit dem zurückgewichenen, uralten Fleisch, und Martha
Koller mußte an ein abgekochtes Huhn denken, bei dem das
Fleisch an den abgehackten Füßen zurückgewichen war
und das man nachher in schmutziger Erde gewälzt hatte.
Es knirschte, mehr geschah nicht. Gegendruck kam auf. Die Tür
flog nach innen.
Martha Koller taumelte gegen das Bett, konnte sich jedoch fangen,
und es gelang ihr, zur Tür auf die entgegengesetzte Seite des
Zimmers zu kommen. Ein schmaler, dunkler Gang. Eine schmale Treppe.
Von hier aus konnte man auf den Speicher.
Sie mußte sich verstecken.
Die Unheimlichen vom Friedhof waren hinter ihr her.
Sie stolperte die Treppe hinauf, ihr Atem flog und kleine,
abgehackte Schreie kamen aus ihrer Kehle.
Was ging hier vor? Wer verursachte dieses gräßliche
Geschehen?
Sie fiel und rappelte sich wieder auf.
Hände griffen in der Dunkelheit nach ihr. Knochenhände
von Toten.
Sie erschauerte, und Ekel würgte sie.
Sie jagte die Treppe empor, so schnell es ihre alten Beine
zuließen.
Die Kräfte ließen nach.
Ich schaffe es nicht, dröhnte es in ihrem Hirn. Das Fenster
lag auf halber Höhe zum Speicher. Sie mußte
hinausklettern.
Der schwache Schein aus dem Schlafzimmer reichte gerade aus, um
genügend zu sehen.
Ruckzuck war das Fenster geöffnet.
Die Hinterseite des Hauses war dicht an den Berg herangebaut. Hier
hinten existierte nur ein schmaler Zwischenraum, in dem einige
Geräte, etwas Holz und Bretter standen.
Die Verfolger waren ganz nahe. Martha Koller wagte nicht, sich
umzublicken.
Sie kroch in die Höhe. Sie mußte nach unten in diesen
schmalen Spalt.
Die Frau rutschte ab und warf die Arme hoch, als könne sie
irgendwo Halt finden. An einem rostigen Nagel riß sie sich die
Innenseite der rechten Hand auf. Etwas schepperte. Das Holz kam ins
Rutschen. In seltsam verkrümmter Haltung blieb sie zwischen Holz
und Gerät hängen.
Sie registrierte den Sturz und empfand keine Angst. Martha Koller
schwamm in einem Meer von Gefühlen aus Angst, Lethargie und
Schmerz.
Ihre Arme sanken herab, ihr Kopf fiel zur Seite, dann wurde es
schwarz vor ihren Augen. Die alte Frau sah nicht mehr die
schrecklichen Gestalten am Fenster zum Speicher auftauchen. Ekelhafte
Totenschädel ragten aus dem Fenster, gierig griffen die langen,
spitzen Finger nach der Frau, die wie eine Puppe zwischen Hauswand
und Berg hing, halb von Brettern, Spinngewebe und lockerem Staub
bedeckt.
Die gräßlichen Totenhände erreichten sie, konnten
sie aber nicht fassen. Ein Brett kippte um, und Martha Koller entging
dem Zugriff der Unheimlichen aus dem Grab.
Sie wurde begraben von Holz und Brettern, und die Toten
ließen die Reglose liegen.
*
Sie verließen das Haus und nahmen Alois Koller mit. Der alte
Mann lag bleich mit eingefallenen Wangen und halb geöffnetem
Mund auf den Armen eines der gespenstischen Wesen.
Koller röchelte. Er war nur halb bei Bewußtsein und
bekam das Ganze nicht mehr mit.
Sein altes schwaches Herz war der Aufregung nicht gewachsen. Es
schlug flach und unregelmäßig, manchmal setzte es aus, als
wolle es endgültig seinen Dienst aufkündigen.
Der unheimliche Zug bewegte sich durch die Nacht. Nur wenige Meter
von Kollers Haus entfernt führte ein Pfad auf den bewaldeten
Hügel.
Der Weg war steil und holprig.
Viele Steine lagen den wandelnden Leichen im Weg, und sie stiegen
darüber hinweg.
An der Spitze ging der Herr der Toten. Nie zuvor – in seinem
wirklichen Leben – war er diesen Weg gegangen. Und doch schien
jeder Fußbreit Boden ihm vertraut. Der durch magische
Kräfte Wiedererweckte
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