Macabros 031: Der Schreckliche aus dem Totenbrunnen
Herr Olsen?“
„Ja.“ Er zuckte die Achseln. „Warum fragen Sie mich
das?“
„Wir haben einen Anruf aus München erhalten. Eine Frau
Dorothea Marstner hat uns angerufen und darum gebeten festzustellen,
ob ihr Mann vielleicht bei Ihnen ist.“
„Heinz Marstner?“
„Richtig. Herr Olsen. Sie selbst sind ja telefonisch nicht zu
erreichen…“
„Nein, hier nicht. Ganz bewußt habe ich auf einen
Anschluß hier verzichtet. Wenn man in München schon rund
um die Uhr zu erreichen ist, braucht das nicht auch in einem Haus der
Fall zu sein, in das man sich hin zurückzieht, um seine Ruhe zu
haben.“
„Na, das ist verständlich. – Tja, dann ist’s
also Fehlanzeige. Kann man nichts machen. Frau Marstner meinte,
daß ihr Mann möglicherweise noch mal hier mit Ihnen
zusammengetroffen ist. Er ist heute den ganzen Tag nicht in
München und an seinem Arbeitsplatz gewesen. Frau Marstner hat
eine wichtige Mitteilung für ihn.“
„Tut mir leid, Herr Wachtmeister, daß ich Ihnen nicht
dienen kann.“
„Entschuldigen Sie die Störung, und…“ Da fiel
der Blick des Polizisten auf die Rechte des Ingenieurs. Olsen
stützte sich gegen den Türpfosten und folgte dem Blick des
Beamten. Eine Hand krallte sich in sein Herz. Seine Finger waren rot.
Rot – von Blut! Und an der Tapete waren häßliche rote
Streifen zurückgeblieben!
*
„Ach, verdammte Schweinerei! Nun ist es doch passiert!“
Olsen reagierte sofort, zog die Hand zurück und schüttelte
den Kopf. „Wenn man nicht aufpaßt! Ich bin gerade dabei,
ein paar alte Masken neu einzufärben. Durch Ihr Klingeln bin ich
sofort losgelaufen, ohne mir noch die Hände abzuwischen. Ich war
sehr erschrocken, als es läutete. Mein erster Gedanke war: der
Telegrammbote. Und zu vorgerückter Stunde bringen Telegrammboten
meistens keine guten Nachrichten mehr. – Wenn Sie nach
München zurückrufen und Frau Marstner Bescheid geben,
grüßen Sie sie bitte von mir! Es täte mir leid, ihr
nicht helfen zu können. Ich habe mich gestern abend schon von
Heinz verabschiedet, vielleicht weiß sie das nicht. Sagen Sie
ihr das bitte!“
„Mach’ ich. – Hoffentlich kriegen Sie die Farbe
wieder weg“, fügte der Schnauzbärtige nickend hinzu,
auf die unschönen Flecke in der Tapete deutend.
„Solange die Farbe frisch ist, sicher. Andernfalls wird bei
Gelegenheit mal neu tapeziert. Dann ist wenigstens ein Grund
vorhanden.“ Olsen lachte. Der Beamte grinste, wandte sich um und
lief zu dem wartenden Fahrzeug. In dem dunkelgrünen Mercedes
Diesel saß ein zweiter Polizist hinter dem Steuer. Er
ließ den Motor anspringen, und das Fahrzeug setzte sich in
Bewegung, kaum daß der Dicke mit dem Schnauzbart seinen Platz
eingenommen hatte.
Kay Olsen blieb im Türrahmen stehen und blickte dem Auto
nach. Jetzt nichts überhasten, sich nur nicht verdächtig
machen, fieberten seine Sinne…
Der Wagen verschwand um die nächste Biegung. Noch ein paar
Sekunden war das Lichtfeld der Scheinwerfer zu sehen, dann herrschte
wieder Dunkelheit und Stille.
Der Ingenieur drückte die Tür ins Schloß und
lehnte sich an die Wand. Schweiß lief über sein Gesicht
und tropfte vom Kinn aufs Hemd herab.
Mit zitternder Hand fuhr sich Olsen über das Antlitz.
„Oh, verdammt“, murmelte er. „Das hätte
schiefgehen können. Verdammt, wenn der nur nichts gemerkt
hat!“
Er hielt den Atem an und lauschte. Der Polizeiwagen – kam er
nicht zurück?
Er glaubte das gleichmäßige Geräusch des
verhältnismäßig lauten Motors zu hören.
Aber nein! Das war nichts. Jetzt hörte er schon Dinge, die
überhaupt nicht vorhanden waren.
Die Sache mit Marstner konnte ihm das Genick brechen. Wenn erst
mal eine Suchmeldung rausging, würde sich der dicke
Schnauzbärtige möglicherweise daran erinnern, was er eben
beobachtete. Rote Farbe oder Blut… das ließ sich ja
nachprüfen.
Marstner mußte verschwinden, und er, Olsen, durfte sich
keinen Tag länger als nötig hier im Land aufhalten, sonst
würde noch all das zunichte werden, was er sich so lange
sehnlichst gewünscht hatte.
In den kommenden zwei Stunden arbeitete Kay Olsen wie ein
Berserker. Er hob an einer unzugänglichen Stelle zwischen einer
Buschgruppe und altem Baumbestand eine Grube aus und ließ die
verpackte und verschnürte Leiche Marstners darin verschwinden.
Fein säuberlich schüttete er das Loch wieder zu, trat die
Erde fest, setzte die Grasbüschel wieder ein, verstreute Zweige,
Blatt- und Astwerk über dem heimlichen Grab und
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