Macabros 031: Der Schreckliche aus dem Totenbrunnen
angebaut. Es gab
kein Kino, keine Zeitung, und wenn man schon mal eine
aufstöberte, dann war sie mindestens ein halbes Jahr alt, und
was darin stand, interessierte keinen Menschen mehr. Nicht mal mehr
die Zeitgenossen, welche lesen konnten. Und die konnte man hier in
Pequena an einer Hand abzählen.
Immer wenn er hierherkam, fühlte Olsen sich im ersten Moment
bedrückt und unglücklich, aber das legte sich schnell, wenn
er, erst mit den Menschen ins Gespräch kam. Dann gehörte er
plötzlich zu ihnen. Die Ärmlichkeit störte ihn nicht
mehr. Er nahm keinen Anstoß mehr an dem Lärm und den
Gerüchen, und er fand es als ganz selbstverständlich,
daß im Dorfwirtshaus auch mal ein Huhn gackernd auf einen Tisch
sprang, während man dort eine Limonade trank oder eine Tortilla
verdrückte, es ging hier nicht besonders sauber zu, aber das
mußte man in Kauf nehmen.
Sich eine Gasse durch die plappernden, bettelnden Kinder bahnend,
ging Olsen einem Mann entgegen, der neugierig und verschlafen aus
einem Haus kam und ihn ungläubig anstarrte, als er ihn
erkannte!
„Señor Ka-ii?“ krächzte er. José
sprach den Namen des Deutschen in merkwürdiger Betonung aus, so
daß er sich anhörte wie ein Doppelname. „Aber das
gibt’s doch nicht… ich glaub… ich träum’.
Señor Ka-ii?!“ Wieder dieser Hickser, als hätte er
einen über den Durst getrunken.
Kay Olsen lachte. Die beiden Männer fielen sich in die Arme.
José war nur mit einem ehemals weißen Unterhemd und
verdrückten Shorts bekleidet. Beides hatte er vor drei Jahren,
als der Ingenieur das letzte Mal in Pequena weilte, dem Indio
verehrt.
José gehörte die Kneipe. Über dem Eingang stand
sein Name, und daneben hing ein rostiges Coca-Cola-Schild.
Der Mexikaner führte seinen Gast in die Wirtsstube, in der
die Luft nicht besser war als draußen. Hier im Hochtal war sie
besonders dünn. Jede Bewegung, jede körperliche Anstrengung
trieb den Schweiß auf die Stirn.
Zur Begrüßung bot José dem Ankömmling einen
Tequila an.
„Selbstgebrannt, wie immer. Neue Ernte“, strahlte der
Indio, und unter seinem kräftigen Lippenbart blitzten zwei
Reihen makellos weißer Zähne. „Señor Ka-ii in
Pequena! Ich kann’s immer noch nicht fassen. Sie sind
früher eingetroffen, als wir erwarteten.“
„Ich konnte früher kommen. Und jeder Tag, den ich nutzen
kann, bringt mich weiter.“
„Richtig, Señor.“
Kay erkundigte sich nach den anderen, nach Jorge, Cantaro, Cid und
Coca. „Ich freue mich darauf, sie alle wieder zu sehen“,
schloß Olsen.
José wollte etwas erwidern, aber es war, als hätte es
nur der Frage nach den anderen Trägern bedurft, als diese schon
in das Gasthaus stürmten. Wie ein Lauffeuer hatte sich die
Nachricht von der Ankunft des Privatforschers verbreitet.
Aber es waren nur drei, die kamen, nicht vier, nach denen Kay
Olsen gefragt hatte.
Da waren Jorge, ein schlaksiger junger Bursche, Mitte Zwanzig,
dann Cantaro, hager, sehnig, der die Gitarre wie kein Zweiter spielte
und dazu sang. Selbst einem einfachen Maschendraht konnte er
Töne entlocken, aus einem einzigen Draht ein Instrument basteln,
wenn es sein mußte. Der Dritte im Bund war Coca. Er war der
Jüngste und Kräftigste. Erst achtzehn und muskulös.
Seinen Namen Coca führte er in der Tat auf Coca Cola
zurück, das seine Mutter in unvorstellbaren Mengen trank als sie
in anderen Umständen war.
Sie begrüßten sich wie alte Freunde.
„Und Cid?“ fragte Olsen. „Wo ist er?“
Die Mienen wurden ernst. Der Wirt im Unterhemd schob sich nach
vorn. „Cid ist tot.“
„Tot? Hatte er einen Unfall? War er krank? Wann ist es
passiert?“
„Er bekam plötzlich hohes Fieber. Einen Tag später
war er tot. Das war vor – drei Tagen.“
Vor drei Tagen? Genau drei Tage lag auch der Tod Heinz Marstners
zurück. Das war Olsens erster Gedanke…
*
Eine Zeitlang herrschte bedrücktes Schweigen. Dann ließ
José ihn wissen, daß er dennoch keine Befürchtungen
zu haben brauchte.
„Es gibt noch viele erfahrene Männer, die den Weg in den
Urwald wagen, und die auch alte Ruinen kennen“, meinte er. Und
er ließ ihn wissen, daß er sich sofort nach Cids Tod um
jemand bemüht habe, der erst seit kurzer Zeit hier im Dorf
weile. „Als ich Ihren Brief bekam, Señor, in dem Sie uns
Ihre Ankunft mitteilten, da habe ich mich sofort an ihn gewandt. Ich
glaube, Sie werden mit meiner Wahl zufrieden sein. Er ist ein
starker, gesunder Bursche, und er weiß mehr über den
Urwald und seine
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