Macabros 038: Mirakel - Phantom aus dem All
Seele
schlummerte das Geheimnis seines Dyktendaseins, und es kam ihm darauf
an, soviel wie möglich darüber zu erfahren. Das Wissen um
die Rätsel der Dykten war entscheidend auch für seine
Reinkarnation als Mensch.
Die Dykten – das wußte er nun schon – hatten die
reinste Form der kosmischen Energie entdeckt und waren
unabhängig geworden von den Nahrungsmitteln und dem Wasser,
dessen der normale Körper aus Fleisch und Blut zu seiner
Erhaltung bedurfte.
Die Dykten ernährten sich aus kosmischer Energie. Eine
gewaltige Zeitspanne brauchte der Organismus, um mit dem Universum,
aus dem er einst geboren wurde, wieder eins zu werden. Mit Hilfe des
Mirakel-Kristalls, den er an verborgenem Ort gefunden hatte, konnte
er diese kosmobiologische Kraft auch für sich und seinen
Organismus nutzen. Und alle Fähigkeiten, welche die Dykten zur
Vollkommenheit entwickelten, ging auf ihn über. Die
Entwicklungen im gesamten Kosmos auf allen Planeten verliefen in der
gleichen Form: Das Leben kam aus dem Meer, nahm Besitz von Luft und
Land, starb, wurde wiedergeboren und erklomm so über viele
Entwicklungsstufen eine Leiter des Fortsehreitens. Irgendwann dann
– in einer unvorstellbar fernen Zeit – kam die
Unsterblichkeit und das Einswerden mit dem Kosmos.
Die Dykten waren auf dem Weg dazu gewesen. Das Eingreifen
finsterer Mächte in die Geschicke des großen Volkes hatte
diese Entwicklung verzögert oder gar verhindert. Was aus den
Dykten geworden war, wußte niemand.
Seit Urzeiten existierten die Dämonen. Ihr Ziel war es, jede
Art von Leben zu beherrschen und in Unfreiheit zu schicken. Ein
dämonisches Universum war das Endziel der
Dämonengöttin Rha-Ta-N’my und ihres getreuen Dieners
Molochos, der einst ein Mensch war.
Viele Völker, viele Lebensformen hatte der Kosmos
geboren.
Die im Licht lebten, die durch das Licht lebten…
gehörten dazu…
Er wußte es einfach, ohne daß es einer Erklärung
bedurft hätte.
Ein gellender Aufschrei ließ ihn herumwirbeln.
Ein Schrei vor dem Fenster!
Aber das lag im neunten Stock des Hochhauses!
Das Blut gefror ihm in den Adern.
Ein Schatten sauste an dem Fenster zur Büroetage von
›Gering und Krollmann‹ vorbei. Der Körper eines Kindes
raste sich überschlagend in die Tiefe.
Morell stürzte ans Fenster und riß es auf.
Mit der anderen Hand griff er in seine Jackettasche, holte den
flachen und federleichten Leuchtkristall hervor und preßte ihn
auf seine linke Brustseite, während er sich im gleichen
Augenblick von der Fensterbank abstieß und ebenfalls in die
Tiefe sprang.
*
Kaum berührte der Mirakel-Kristall sein Herz, ging die
rätselhafte, unfaßbare Verwandlung mit ihm vor, die ihn zu
Mirakel, den Dyktenmann, werden ließ.
Der kosmobiologische Kraftstrom, der in dem Kristall gefangen war,
durchdrang seinen Körper und schuf eine schimmernde Aura, unter
der sich sein Aussehen veränderte.
Sein Leib war gehüllt in ein rotes Trikot, das wie eine
zweite Haut an ihm lag. Seine Hände steckten plötzlich in
goldfarbenen Stulpenhandschuhen, seine Füße in langen und
hohen, ebenfalls goldfarbenen Stiefeln. Stiefel und Handschuhe waren
mit kleinen Flügeln versehen.
Er bewegte sich plötzlich wie auf einem Kraftfeld, das jedem
seiner Gedanken, jedem seiner Bewegungen gehorchte. Es war nicht mehr
wie das Fallen eines Steins in die Tiefe. Er konnte seinen Sturz
abfangen, konnte ihn aber auch beschleunigen. Die Schwerkraft
existierte nicht mehr für ihn. Er konnte fliegen…
Sein Körper war vollkommen durchgestreckt und völlig
entspannt. Er jagte an den Fensterreihen in die Tiefe. Fauchend
schlug die Luft über seinem Kopf zusammen.
Jetzt erreichte er das Kind, das noch immer gellend schrie. Aber
niemand hörte es. Der Straßenlärm, der unweit des
einsam stehenden Hochhauses herrschte, schluckte alle anderen
Geräusche.
Und niemand sah etwas.
Die abseits der Straße liegende Hauswand lag im Dunkeln. Nur
in wenigen Etagen brannte Licht. Niemand war an den Fenstern,
drüben auf dem Bürgersteig zum Messegelände lief kein
Mensch.
Mirakel streckte seine Hände nach dem Mädchen aus,
erreichte es, zog es an sich – und schwang im Flug knapp
über dem betonierten Erdboden herum, als würde er wie eine
Marionette an unsichtbaren Fäden emporgerissen.
Sein elastischer Körper stieg schnell und lautlos in die
Höhe. Von der Dachumrandung zog sich zitternd eine Gestalt
zurück und starrte dem Ankömmling aus schreckgeweiteten
Außen entgegen.
»Weg!«
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