Macabros 040: Tal der tausend Foltern
Hellmark lag sein Schwert. Ruhig und locker lag
seine Rechte darauf, bereit, den mit kostbaren Steinen verzierten
Griff zu umfassen und zu kämpfen.
Danielle de Barteaulieé hielt den Atem an, als sie nach der
Schwertspitze griff und die Waffe langsam unter der Hand Hellmarks
hervorzuziehen versuchte.
Ein Staunen stahl sich auf ihr Gesicht.
Sie glaubte, ein Zentnergewicht zu sich herziehen zu müssen.
Es war ihr unmöglich, das Schwert nach unten wegzuziehen.
Sie murmelte eine Formel, die für gewöhnlich half,
solche Schwierigkeiten zu überwinden. Aber auch dann lag das
Schwert noch so vor ihr, als wäre es mit dem Boden
verwachsen.
Sie hatte gesehen, wie Hellmark das Schwert trug.
Er schleppte sich nicht damit ab, er hielt es leicht und locker in
seiner Hand oder trug es am Gürtel.
Wieso fiel es ihr so schwer, das Schwert zu bewegen?
Sie war irritiert. Sie konnte nicht wissen, daß es mit dem
Schwert des Toten Gottes eine besondere Bewandtnis hatte. Es war in
einer fernen Vergangenheit, ehe der legendäre Erdteil Xantilon
unterging von einem Meister seiner Kunst geschmiedet worden. Es war
ein magisches Schwert und für schwarzmagische Zwecke nicht
angreifbar.
Danielle de Barteaulieé preßte die Lippen zu einem
schmalen Strich zusammen und bewegte sich auf Zehenspitzen auf den
abseits stehenden Baum zu, der nur wenige Schritte vom Schlafplatz
des Deutschen entfernt lag.
Ziemlich weit unten am Stamm hing ein kräftiger, armdicker
Ast. Eine so zierliche Frau wie Danielle konnte diesen Ast nicht
durchbrechen.
Sie legte beide Hände daran, murmelte mehrere
unverständliche Worte – und der Ast senkte sich lautlos
herab, brach ab, ohne auch nur das kleinste Geräusch zu
verursachen. Die kleinen Zweige lösten sich, fielen lautlos zu
Boden. Unter dem angespannten Blick und der magischen Konzentration
und Beschwörung veränderte sich die Knüppelgestalt des
armdicken Astes. Wie unter einem unsichtbaren Messer spitzte sich das
eine Ende zu. Ein dicker Pfahl mit einer scharfen Spitze
entstand.
Wie ein Schatten näherte sich die junge Hexe dem
Schläfer. Entspannt lag er da, mit bloßen gebräuntem
Oberkörper.
Danielle de Barteaulieé zögerte eine Sekunde.
Sie sah das gutgeschnittene, männliche Gesicht vor sich,
mußte an die Gespräche, an das Lachen dieses Mannes
denken, mit dem sie seit zwei Tagen und zwei Nächten
ständig zusammen war. Er war nicht ihr Feind. Er war ihr Freund.
Und doch mußte sie ihn töten.
Ihr eigenes Schicksal stand auf dem Spiel. Wenn sie sich frei in
der Menschenwelt bewegen wollte, wenn sie die Verärgerung
Rha-Ta-N’mys rückgängig machen wollte, mußte sie
zeigen, daß es ihr ernst war mit ihrem Entschluß, nun
doch der Welt der Hexen und Dämonen anzugehören.
Unbemerkt setzte sie dem Pfahl auf das Herz. Die Spitze
berührte gerade das Fleisch. Und dann gab sie sich trotz aller
Skrupel, die in ihr aufstiegen, einen Ruck.
Oder – war es gar nicht ihre Hand, die den Druck auf das Herz
des Schlafenden ausübte?
Sie zögerte noch, fühlte Unruhe, Bedauern und Wehmut
– und dann geschah es doch, ohne daß sie zu sagen vermocht
hätte, wie es eigentlich zustandekam, was es war, das die
Barriere in ihr endgültig wie im Sturm niederriß.
Der Pflock stieß nach unten. Die Haut riß auf und der
zugespitzte Ast drang in das Herz des Schläfers wie in die Brust
eines Vampirs, der von seinem Jäger gefällt wurde.
*
Danielle de Barteaulieés Augen weiteten sich vor
Entsetzen.
Das hatte sie nicht gewollt. Oder doch?!
Und dann sah sie etwas, das sie zusammenzucken ließ wie
unter einem Peitschenschlag.
Kein Tropfen Blut sickerte aus der Wunde.
»War das nötig?« sagte da die Stimme hinter ihr.
Eine traurige, enttäuschte Stimme, die sie herumwirbeln
ließ. »Behandeln Sie immer so Menschen, die es gut mit
Ihnen meinen, Danielle?«
Sie stand da wie angewachsen. Sie war so entsetzt, daß sogar
ihre Stimmbänder den Dienst versagten und sie nicht aufschreien
konnte.
Ihr Blick irrte von dem Mann, der vor ihr stand zu dem, der reglos
mit dem Pfahl im Herzen auf dem Boden lag.
In beiden Fällen – handelte es sich um einunddenselben
Mann, um Björn Hellmark.
*
Um ihre Lippen zuckte es.
»Wieso… weshalb…?«
Sie brachte keinen vernünftigen Satz hervor.
»Ich hatte einen Verdacht, Danielle. Mir ist aufgefallen, wie
Sie mich oft heimlich prüfend musterten. So, wie Sie mich
ansahen, sieht man jemanden an, mit dem man irgend etwas im Schilde
führt.
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