Macabros 084: Horron - Kontinent des Vergessenen
darin, für einen saudiarabischen
Ölscheich eine Wüstenstadt zu entwerfen, die in den
nächsten Jahren realisiert werden sollte. Die Aufgabe reizte ihn
und forderte seine Kreativität, denn sie ließ ihm
verhältnismäßig viel Spielraum für eigene Ideen.
Nur das Grundkonzept war vorgelegt. Die erste Vorplanung sollte den
Auftraggebern im Lauf der Woche unterbreitet werden.
Pallert hatte noch einen Berg Arbeit vor sich, er war in
Bedrängnis geraten und hätte den Termin gern um wenigstens
eine Woche verschoben. Aber die Geschäftsleitung war
unerbittlich. Die Besucher aus dem fernen Land hatten sich
angemeldet.
Mit etwas Glück und forciertem Arbeitstempo sollte es
allerdings möglich sein, den Termin noch zu schaffen.
So wollte Jonathan Pallert an diesem Morgen mit besonderem Elan an
die Aufgabe herangehen und fühlte sich auch in der Stimmung
dazu.
Bis die beinahe unerträglichen Kopfschmerzen auftraten und
seine Absichten zunichte machten.
Er zwang sich trotz allem zum Arbeiten. Er kam kaum vom Fleck und
hatte das Gefühl, als ströme flüssiges Blei statt Blut
durch seine Adern.
Die Zähne zusammengebissen, arbeitete er weiter.
Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Krankheit? Das gab
es bei ihm nicht. Und die Karkins konnten im Moment keinen Mann
entbehren, gerade ihn nicht, der das Wüstenprojekt wie kein
zweiter kannte.
Jonathan Pallert zuckte zusammen, als er von seinem Kollegen Bills
angesprochen wurde.
»Stimmt heute etwas nicht mit dir?«
Dem Gefragten stockte einen Moment der Atem. »Wieso? Wie
kommst du denn darauf?«
Er gab sich konzentriert, und spielte seine Rolle gut, obwohl es
ihm schwer fiel.
»Du wirkst müde. Dir macht die Arbeit heute keinen
Spaß, Jonat.« Der Kollege trug wie er einen weißen
Kittel, auf dessen Brusttasche das Firmenzeichen der
›Karkins-Corporation‹ prangte. Über der Silhouette
eines Wolkenkratzers schwebte wie ein Heiligenschein ein
ausgebreiteter Zirkel. »Du siehst blaß aus heute
morgen…«
»Ich hab’ schlecht geschlafen. Das ist alles«,
reagierte er unerwartet heftig. Sein Gesicht verzerrte sich vor
Schmerz. Er konnte nicht verhindern, daß Bills es bemerkte.
»Wenn du dich krank fühlst, solltest du nach Hause gehen
und dich ins Bett legen«, sagte der Mann ernst.
»Das geht nicht… die Termine…«
»Wenn man für immer auf der Nase liegt, wird’s auch
noch Termine geben. Die erledigen dann andere für dich. Mann,
mach’ doch keinen Unsinn! Ich seh’ doch, wie schlecht es
dir geht…«
Bills und Pallert arbeiteten seit zehn Jahren zusammen. Zwischen
ihnen bestand ein gutes Verhältnis.
Um so weniger verstand Bills die unwirsche Art seines
Kollegen.
Pallert sah das Gespräch als beendet an und wandte sich
wieder seiner Zeichnung zu.
Sabrina Wells, eine fünfundzwanzigjährige Blondine,
Sekretärin in der Chefetage, kam durch die weit aufschwingende
Glastür.
Leises Raunen ging durch den Raum. Männerblicke folgten der
attraktiven Schönheit, deren schneller, typischer Gang
aufreizend war.
Sabrina trug das platinblonde Haar lang. Ihr Gesicht mit den
hochstehenden Jochknochen und den großen, mandelförmigen
Augen war von exotischem Zuschnitt. Die Sekretärin trug eine
salopp fallende Bluse und einen hautengen, geschlitzten Rock, der
ihre wohlgeformten, langen Beine sehen ließ.
Sabrina Wells war eine Wucht. Es gab keinen Mann im Büro, der
nicht gern mit ihr ausgegangen wäre oder mit ihr geschlafen
hätte. Mehr als einer hatte es auch versucht. Und war
kläglich abgeblitzt. Entweder waren sie zu forsch und
selbstsicher vorgegangen, was Sabrina offensichtlich nicht wollte
– oder das Mädchen war kalt wie Eis und an Männern
nicht interessiert. Mit einem festen Freund jedenfalls hatte noch
niemand sie gesehen. Und gerade deshalb machte mancher Junggeselle
sich Hoffnungen, daß die Attraktive ihm in den Schoß
fiel.
»Hallo«, sagte Sabrina nur und lächelte
verschmitzt. Es war rätselhafter als das der legendären
Mona Lisa.
Da gab es keinen Mann, der nicht freudestrahlend
zurückgegrüßt hätte.
Sie war freundlich, nicht kühl, ansprechbar und doch war da
jene gewisse Distanz, die Grenzen setzten. Sabrina Wells war eine
Dame.
In dieser Minute, als die gutaussehende Sekretärin den
Zeichensaal durchquerte, hatte Bills weniger Augen für sie als
für seinen Kollegen Jonathan Pallert.
Und wieder zeigte sich, daß sein Verdacht begründet
war. Es war ein offenes Geheimnis, daß Pallert ein Auge auf
Sabrina geworden hatte.
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