Macabros 094: Todesruf der schwarzen Hexe
nicht mehr in Großbritannien. Es war von diesem
Mann bekannt, daß er – ähnlich wie Will Bardon und
seine Frau – Abenteuerblut in seinen Adern hatte. Bill Redgrave
– so hieß er – sollte sich irgendwo im fernen und
kalten Alaska aufhalten. Sein Ehrgeiz war es, wie durch Richard
Patrick mit einiger Sicherheit zu erfahren war, den Spuren des
Königs der Abenteurer, Jack London, zu folgen. Redgraves Ehrgeiz
war es, den Weg zu Fuß zu gehen, quer durch die
Schneewüste Alaskas, den zigtausende gegangen waren, dem Ruf des
Goldes folgend. Alaska, Yukon und Dawson City, berühmte
Stationen im Leben des Abenteurers, waren auch die Stationen
Redgraves.
Vor drei Jahren hatte er England verlassen. Seitdem wußte
man nichts mehr über sein Schicksal. Bemerkenswert war
allerdings, daß nach dieser weinseligen Nacht Redgraves Wege
und die seines Freundes Bardon sich nie wieder gekreuzt hatten. Diese
Information stammte ebenfalls von Richard Patrick, der dank eines
riesigen, in aller Welt verbreiteten Mitarbeiterstabs jederzeit mit
Nachrichten versorgt wurde.
Rani Mahay und Danielle de Barteaulieé standen in der
Dämmerung. Hinter einem Kastenwagen mit der Aufschrift
»DONALDS SANDWICHES« bot sich ihnen ein ausgezeichneter
Beobachtungsplatz, ohne daß sie selbst gesehen wurden.
Sie hielten sich genau an die Absprachen, die getroffen worden
waren.
Obwohl scheinbar kein Grund dafür bestand, verhielten sie
sich äußerst vorsichtig. Hellmark hatte ihnen diese
Vorsicht eingeimpft. Sie wußten nichts über die Macht und
den Einfluß der ›Schwarzen Hexe‹ in dieser Welt
Hellmark ging zunächst davon aus, daß alle Menschen, die
auf irgendeine Weise mit der ›Schwarzen Hexe‹ schon zu tun
hatten, verändert waren. Ak Nafuur hatte dies in seiner siebten
Botschaft angedeutet, ohne allerdings den Beweis dafür in
Händen zu halten.
Da niemand wußte, welche Gefahr eventuell von jenen ausging,
die etwas von ihr wußten, war Vorsicht angebracht. In diesem
Stadium der Entwicklung wollte Hellmark so wenig wie möglich
riskieren, keinen seiner Freunde verlieren, auf deren Hilfe und
Unterstützung er angewiesen war.
Bardon und seine schöne Frau durchquerten die feudale
Empfangshalle des ›Imperial‹. An der Rezeption meldeten sie
sich an. Der Boy war enttäuscht, daß das Paar kein
Gepäck bei sich hatte.
Will Bardon erledigte die notwendigen Formalitäten, bekam den
Zimmerschlüssel ausgehändigt und verschwand gleich darauf
in dem mahagoniverkleideten Lift, der sie nach oben trug.
»So«, sagte Rani Mahay nach einer langen Zeit des
Schweigens. »Jetzt wird’s ernst. Mal sehen, ob mir die
Bardons meine Rolle abnehmen… sitzt meine Krawatte, ist der
Hemdkragen noch glatt? Ich komme mir vor, wie in eine
Ritterrüstung eingeklemmt. Hemd und Krawatte – ich
weiß gar nicht, wie lange das schon her ist, seitdem ich so
etwas getragen habe…«
In der Tat wirkte der Inder wie ein Mann von Welt. Die
khakifarbene Hose hatte er vertauscht mit einem dunkelblauen Anzug.
Das weiße Hemd stach ab von seiner bronzefarbenen Haut. Die
Krawatte zeigte dezente Streifen. Rani trug außerdem einen
flachen Aktenkoffer bei sich.
»Du siehst aus wie ein seriöser
Geschäftsmann«, sagte die junge Französin mit dem
Anflug eines Lächelns. »Ich kann mir nicht vorstellen,
daß Bardon dich nicht empfangen wird…«
»Wenn’s bei ihm nicht klappt, versuch’ ich’s
bei seiner Frau.«
»Untersteh’ dich!« wurde er gewarnt. In Danielles
Augen blitzte es.
»Oh, eifersüchtig?« fragte der Inder mit frommem
Augenaufschlag überrascht.
»Sehr… Wenn du sie ansiehst, kratz’ ich dir die
Augen aus…« Danielle de Barteaulieé zog die
Oberlippen in die Höhe und fletschte die Zähne. Sie gab ein
leises Fauchen von sich.
»Schlimmer als Chitra. Die hatte ich wenigstens unter
Kontrolle. Dabei war sie ein richtiges Raubtier«, spielte der
Koloß von Bhutan auf die Tigerkatze an, die ihn einige Jahre
seines Lebens begleitete. Mahay war mit der Tigerin als
Zirkusattraktion aufgetreten, ehe er zu Hellmark stieß. In
jener Zeit ließ sich Rani in offener Manege mit seinen
ungezähmten Raubkatzen sehen und hielt sie mit seinem Willen
unter Kontrolle. Der Nervenkitzel für jene, die das miterleben
konnten, war einmalig. Eine solche Attraktion wie Mahay und seine
wilden Tiere hatte es nie wieder gegeben.
»Vielleicht bin ich ihre Reinkarnation«, erwiderte
Danielle. »Ich habe Krallen und Samtpfoten…«
Mahay lächelte flüchtig, streichelte
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