Macabros 094: Todesruf der schwarzen Hexe
konnte der Concierge
sehen, daß der Aufzug durchfuhr bis in die vierte Etage.
Er hielt zwischendurch nicht, niemand betrat oder verließ
den Lift.
Als er in der vierten Etage stehen blieb, ging der Concierge davon
aus, daß der Besucher namens Bill Redgrave den Lift
verließ…
Das war nicht der Fall.
Automatisch glitt die Tür seitwärts und gab den Blick in
das Innere des Lifts frei.
Niemand kam heraus, weil niemand mehr im Lift war.
Rani Mahay war spurlos verschwunden.
*
Sumo, der Pakistani, irrte durch die Straßen.
Ohne seine Zeitungen anzubieten, verkaufte er noch drei Exemplare.
Er war überhaupt nicht daran interessiert, irgendein
Geschäft zu machen.
Er steckte voller Unruhe. Seine Gedanken kreisten ständig um
ein und dieselbe Sache, ohne daß sich eine Lösung
anbot.
War es Zufall, daß ihn der fremde Seemann angesprochen
hatte? Oder war er gezielt ausgesucht worden?
Die verrücktesten Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
Er war abergläubisch, und so berührte ihn auch der
Besitz der kleinen Maske aus schwarzem Stein eigenartig. Ständig
fühlte er in seiner Tasche nach, ob sie auch noch darin steckte.
Wie Feuer brannte der seltsame Gegenstand unter seinen Fingern.
Er fragte sich, ob es sich um ein okkultes, ein magisches Objekt
handelte, auf das die seltsamen Vorfälle zurückgingen.
Wie in Hypnose erreichte er schließlich die Straße, in
der die Bars, Kabaretts und Spielautomaten-Salons standen. Alle
Lichter brannten. Bunte, wirbelnde Lichter schimmerten auf dem
feuchten Pflaster und spiegelten sich in den dunklen Fenstern.
Das Haus an der Ecke, etwas nach vorn gebaut, war Sumos Ziel.
Die Mädchen in hautengen Röcken, die gerade das
Gesäß abschlossen, und aufgeknöpften Blusen, standen
am Straßenrand oder an die Hauswand gelehnt und warteten auf
Freier.
Autos parkten in der Straße, viele Männer –
Deutsche und Ausländer – waren zu sehen. Sie gingen in die
Bars, standen bei den Mädchen oder blickten sich nur neugierig
oder suchend um.
Sumo war so in Gedanken, daß er einen Passanten
anrempelte.
In einem düsteren Hauseingang lag auf dem Boden ein
Betrunkener. Das war George. Noch ehe es richtig Abend wurde, hatte
er sich schon vollaufen lassen. Hier in der Straße war Tag
für Tag das gleiche Bild. Sumo verkehrte so oft hier, daß
ihm einzelne Gesichter schon vertraut waren. Er achtete schon nicht
mehr auf sie und das Treiben ringsum.
Lilo, rothaarig, drall, mit einem Superbusen und strammen Po
lehnte lässig am Pfosten neben dem Portal des Eckhauses, in dem
sie ihr »Apartment« hatte.
Sie hielt eine gerade angerauchte Zigarette zwischen den Fingern
und spielte gedankenverloren mit ihr, während sie Ausschau nach
einem Freier hielt und auch die Männer ansprach, die an ihr
vorüberkamen.
Dann erblickte sie Sumo. Sie zwinkerte mit den Lidern, daß
zu befürchten war, der dickaufgetragene Lidschatten und das
blaue Augen-Make-up würden abfallen.
»Sumo!« stöhnte sie und warf die angerauchte
Zigarette vor sich auf den feuchten Boden, wo die Glut zischend
verlöschte. »Alter Zeitungsboy…« Das sagte sie
immer zu ihm. »Was machst du denn jetzt schon hier? Floriert das
Geschäft heute nicht? Dann geht’s dir wir mir. Die Kerle
beißen nicht an und haben keine Kröten mehr so kurz vor
dem ersten… Ich glaube, ich geb’s für heute auf. Was
ist los, Kleiner? Ist dir ’ne Laus über die Leber gelaufen,
weil du so komisch aussiehst?«
»Komisch? Wieso?«
Sie zuckte die nackten Schultern. »Das frag’ ich dich ja
eben… Du siehst so ernst aus.«
»Erschrocken, meinst du…«
»So kann man’s auch nennen.« Ihre Augen wurden
einen Moment zu schmalen Schlitzen. »Ärger gehabt?«
fragte sie plötzlich leise, und Sumo wußte genau, worauf
sie anspielte.
»Nein. Nicht mit der Polizei. Du weißt, daß du
dich auf mich verlassen kannst. – Ich hatte ein
Erlebnis…«
»Wie soll ich das nun wieder verstehen?«
»Wenn du mehr darüber wissen willst, laß’ uns
’raufgehen. Hier unten möchte ich nicht gern darüber
reden,… Außerdem brauch’ ich ’nen Kognak,
Lilo… Die Sache ist mir auf den Magen geschlagen…«
»Okay. Ist ja sowieso nichts los,… Außerdem kann
ich’s ja später noch mal versuchen…«
Sie machte auf ihren hochhackigen Pumps kehrt und stieß die
Haustür auf.
Der Korridor war dunkel und muffig. Die Wände konnten einen
neuen Anstrich vertragen, das Treppengeländer war wackelig, und
man riskierte einen Sturz in die Tiefe, wenn
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