Mach mich wild!
’n Mädchen!«
Als wollte er sie beschützen, deckte John sie wieder zu. »Pfoten weg, Gilbert! Und wasch dich lieber mal, du stinkst wie ein Schwein nach dem Suhlen!«
»Beute wird geteilt – wie immer«, grinste Gilbert frech, aber Anne fand das gar nicht lustig.
John räusperte sich: »Die Beute heißt Lady Anne und steht unter meinem persönlichen Schutz. Gleich nach dem Frühstück werde ich sie nach Hause geleiten.«
Er würde also sein Versprechen halten, freute sich Anne, aber warum wurde ihr dann plötzlich so schwer ums Herz?
Gilbert kratzte sich am Kopf. »Na gut. Ach, äh ... Frühstück is fertig.« Mit einem Satz sprang er von der Plattform und hangelte sich an den Ästen nach unten.
»Na dann«, meinte John grinsend, »nach Ihnen, Mylady.«
Ja, das würde diesem Schurken so passen, dachte sich Anne. Sie angelte nach ihren Kleidungsstücken, die sie unter der Decke anziehen wollte, während es John sichtlich Spaß machte, sich nackt vor ihr zu zeigen. Dabei ließ er bei jeder Gelegenheit seine Muskeln spielen, der Angeber.
Plötzlich musterte John sie skeptisch. »Du willst doch nicht allen Ernstes wieder in diese Fetzen steigen?«
Annes Herzschlag beschleunigte sich. Er wollte, dass sie nackt vom Baum kletterte?
John musste anhand ihres empörten Gesichtsausdrucks gesehen haben, was sie dachte. Er beugte sich, nur mit seiner Bruche bekleidet, über die Plattform und rief: »Hey, Gilbert, bist du noch da?«
»Und ob!«, ertönte es auf einmal ganz nah an Annes Ohr. Erschrocken wirbelte sie herum. In der Baumkrone blitzten Zähne auf.
John war schon aufgesprungen und zog Gilbert am Ohr aus den Blättern. »Wolltest du Lady Anne etwa beim Anziehen zusehen, du Rotzlöffel?«
Trotz der Schmutzschicht, die Gilberts Gesicht bedeckte, erkannte Anne, wie der Bengel rot um die Nase wurde.
Stotternd wand er sich in Johns Griff, aber ihm fiel keine Ausrede ein. John ließ ihn los, doch er konnte dem Jungen anscheinend nicht böse sein. »Geh zu Jeb und Mort. Die beiden heben doch alle Klamotten auf. Sie haben bestimmt auch etwas in ihren Truhen, was einer Lady würdig ist.«
»Ja, Sir, bin schon weg!« Abermals schwang sich Gilbert von der Plattform, aber diesmal überprüfte John, dass er auch tatsächlich unten ankam.
***
Es war Anne immer noch ein Rätsel, wie sie heil vom Baum gekommen war, aber mit Hilfe von John und Gilbert hatte sie es irgendwie geschafft. Sie hatte sich an einem Bach ein wenig frisch gemacht, wobei John sie keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, und saß nun in ihren neuen Kleidern um ein Lagerfeuer. Das Gewand, das sie trug, hatten die Räuber einer sehr wohlhabenden Lady abgeluchst, die mit ihrer edlen Kutsche durch den Wald gekommen war, erzählte ihr ein alter Mann namens Mort. Er lächelte sie zahnlos und sichtlich vergnügt an, seine wässrigen Augen blitzen.
Annes Kleid war aus grüner Seide gefertigt, besaß eine hoch angesetzte Taille und einen tiefen Ausschnitt. Auf den Spitzhut hatte Anne allerdings verzichtet. Der war im Wald eher hinderlich.
Auch John sah ausgezeichnet aus in seiner Kleidung. Immerhin hatte sie ihn nur in Unterhosen kennengelernt. Er trug einen kurzen Rock sowie enge Hosen und Stiefel aus Wildleder, die seine männlichen Oberschenkel besonders gut zur Geltung brachten.
Unzählige Augenpaare starrten Anne neugierig an. Die Räuberbande war ein ziemlich bunter Haufen, auch wenn ihre Kleidung eher eintönig war: Sie bestand ausschließlich aus Grün- und Brauntönen. Kein Wunder, dass Anne die Diebe im Gebüsch nicht gesehen hatte, als sie überfallen wurde. Es waren aber nicht nur Männer anwesend, auch Frauen und Kinder, ja, ganze Familien hatten sich zum Frühstück um das Feuer versammelt. Erleichtert atmete Anne auf. John hatte sie also nur damit aufgezogen, dass alle seine Männer »ausgehungert« waren. Das traf höchstens auf John selbst zu, so leidenschaftlich, wie er gewesen war.
Anne hatte ja nicht geahnt, wie kühl es frühmorgens an einem Herbsttag im Wald sein konnte. Sie rutschte ein wenig näher an das Lagerfeuer, um sich ihre kalten Zehen zu wärmen, die in zierlichen Stiefeln steckten. Jeb und Mort, die zwei ältesten Männer im Lager, hatten ihr die Schuhe mitgebracht. Die beiden sahen eigentlich ganz nett aus mit ihren faltigen Gesichtern und den grauen Bärten, ebenso die anderen. Anne erfuhr nach und nach ihre Geschichten, während Beerenwein und gebratener Fisch herumgereicht wurden. Alle von ihnen hatten sich
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