Mach sie fertig
fahren. Oder gingen eben drauf.
Er war froh, dass er die Chance erhalten hatte. Nicht gerade viele Schweden weltweit durften in einem richtigen Krieg kämpfen. Die UN -Memmen bewachten überwiegend Flüchtlingslager. Ihm war bewusst, dass er selbst einmal einer von ihnen hatte werden wollen.
Nachdem er geduscht hatte, nahm er zwei Nitrazepam. Die Einsamkeit zehrte. Er brauchte Freunde. Benjamin, der Typ, der ihm den Kontakt zum Schwarzmakler vermittelt hatte, war der einzige Kumpel, den er während der Zeit auf dem Gymnasium jemals gehabt hatte. Vor seiner Zeit als Feldjäger in Arvidsjaur. Vielleicht war er der einzige Freund, den er überhaupt jemals gehabt hatte. Niklas hatte ihn letzte Woche nach einer halben Ewigkeit zum ersten Mal wiedergetroffen. Sie würden sich heute wiedersehen.
Er warf sich noch eine weitere beruhigende Tablette ein. Verließ die Wohnung. Ging runter zur U-Bahn. Sah sich nach Ratten um.
Der U-Bahn-Waggon war Ziel einer Graffitiattacke gewesen. Niklas schloss die Augen. Versuchte zu schlafen. Er musste wieder an die Schreie der Nachbarin denken. Der jungen Frau da drinnen mit dem irakischen Akzent war es höchstwahrscheinlich ziemlich übel ergangen. Er hatte den Typen, der sie fertiggemachte hatte, noch nicht zu Gesicht bekommen. Aber Niklas bezweifelte, dass er sich würde beherrschen können, wenn er ihn zu sehen bekäme.
Er dachte nach. Der Mensch lebte in Hobbes’ Welt. Niklas wusste es nur allzu gut. Man konnte die Menschheit nicht ohne weiteres in Gut und Böse einteilen. Man konnte das Leben nicht einfach mit einer Art moralischem Anstrich übertünchen. So tun, als ob es Richtig und Falsch gäbe, Gut und Böse. Das war Unsinn. Es herrschte ein Krieg, in dem jeder gegen jeden kämpfte. Irgendwer musste eingreifen. Jemand musste dafür sorgen, dass die Leute sich nicht gegenseitig erschlugen, erschossen, einander in die Luft sprengten. Jemand musste die Macht ergreifen. Keiner hatte das Recht, gegen das System aufzubegehren, ohne vorher selbst versucht zu haben, etwas zu unternehmen, mit all seiner Kraft. Deswegen mussten die Mudschaheddin respektiert werden. Es war Krieg. Sie waren keineswegs schlechtere Menschen als die Soldaten in seiner Einheit. Der einzige Unterschied bestand darin, dass seine Männer die besseren Waffen besaßen. Und aufgrund dessen die Kontrolle übernahmen.
In gewisser Weise war es mit der Braut in der Nachbarwohnung dasselbe. Ihr Typ zog sein Ding durch. Und sie müsste eigentlich ihres durchziehen – ihn totschlagen. Auf der Stelle.
Er stieg aus der U-Bahn. Sie hatten sich in einer Kneipe am Mariatorget verabredet. Im Tivoli. Auf ein Bier. Niklas setzte sich an einen Tisch.
Nach einer Weile kam er. Benjamin: kahl rasierter Schädel, aber mit ’nem Bart wie ’n abgefahrener ZZ Top-Rocker. Stiernacken. Knollnase, die im Laufe der Jahre vermutlich eine Reihe von Stübern abbekommen hatte. Und Sonnenbrille. Niklas musste daran denken, wie die Yankees ihre hässlichen Gratisbrillen nannten: BCD – Birth Control Device – mit so einer auf der Nase kamst du nicht mal in die Nähe einer Braut. Benjamins wiegender Gang war immer noch derselbe. Aufschneiderstil hoch drei: Die Hände in den Taschen der offenen Jacke schwangen mit jedem Schritt, den er machte, hin und her.
Als er Benjamin das letzte Mal getroffen hatte, war Niklas’ erster Gedanke, dass er sich seit ihrer Kindheit total verändert hatte. Damals: Er gehörte zu den Typen, die nie so richtig den Durchblick hatten. Der etwas zu lange über uninteressante Dinge redete – wie zum Beispiel, dass seine Mama die helle Wäsche aus Versehen blau verfärbt hatte. Der nach dem Schulsport nicht das T-Shirt wechselte. Dem die Mädchen niemals auch nur die geringste Chance gaben und der dennoch kleine, eigens verfasste Briefe an die selbstbewussteste Braut von allen schickte, in denen er ihr gestand, wie sehr er sie mochte, und sie fragte, ob sie mit ihm gehen wollte. Er wurde nie gemobbt, und dafür gab es triftige Gründe. Aber er gehörte auch nicht zur Gang. Hin und wieder konnte er völlig ausrasten. Zum Beispiel, wenn jemand ihn provozierte, ihn wegen seines Handschweißes schikanierte, ihn wegen seines Namens aufzog oder einfach nur irgendwelchen banalen Mist über seine Mutter erfand. Es war fies. Wenn er unter Druck geriet, wurde er zum Tier. Konnte Typen verkloppen, die zwei Jahre älter waren als er. Ihre Köpfe auf den Kiesboden des Fußballfeldes knallen, sie mit Steinen
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