Macho-Mamas
Mutter schöpft man Kraft aus der Erschöpfung, dankt dem Familienleben für die Erholung, die es von der zuweilen sinnentleerten Arbeit bietet, und das Arbeitsleben rettet vor der Vereinsamung in der allzu privaten Sozialarbeit, die man als Mutter leistet.
Ich kam nach Hause, kochte, las die Zettel, die die Kinder aus der Schule mitgebracht hatten, kam ihren zahlreichen Begehren nach, dann aßen wir, und schließlich las ich ihnen aus Harry Potter und der Gefangene von Askaban vor. Darin benutzt die fleißige Hermine ein Stundenglas, eine Uhr, mit der sich die Zeit zurückdrehen lässt, um den dreifachen Stundenplan belegen zu können. Nach jeder 9-Uhr-Lektion dreht sie die Uhr einfach eine Stunde zurück und wiederholt die Stunde in einem anderen Fach. Genau das bräuchte ich auch, dachte ich. Mehr Zeit. Ein doppeltes Leben, um sowohl bei der Arbeit wie auch als Mutter das leisten zu können, was ich von mir erwarte.
Ich brachte die Kinder zu Bett. Meine Tochter war mal wieder in philosophischer Stimmung, fragte sich, ob wir auch wirklich existieren, ob die Welt vielleicht nicht doch eine Täuschung sei und sie niemals mehr aufwachen werde. Sie bat mich, mich noch ein bisschen zu ihr zu legen. Normalerweise entspreche ich diesem Wunsch nicht. Besonders, wenn ich noch arbeiten muss, wie an jenem Abend.
Aber wie sie da meinen Arm mit kindlichem Ernst und der beträchtlichen Kraft ihrer Liebe umklammerte, gab ich nach und legte mich hin. Da lag ich nun, meine Gedanken eilten zurück zu den Sachzwängen und der Betriebsamkeit des Büros, eilten vor zu den Stunden am Computer, die noch vor mir lagen, und machten jeweils kurz Rast im Kinderzimmer, betrachteten mich auf dem Bett mit der Tochter im Arm und wollten schon wieder davoneilen. Ich pfiff sie zurück. Ruhe jetzt!, schimpfte ich innerlich. Ihr bleibt jetzt einfach mal hier stehen! Hier, meine Tochter, das dunkle Zimmer, mein atmender Leib, ich als Mama da, einfach nur da, auch wenn das vielleicht wenig Kluges zu denken gibt.
Vielleicht ist es aber das Klügste, was man tun kann. Denn später las ich ein bisschen im Buch Solo von Gabriella Baumann von Arx, das von dem Alpinisten Ueli Steck handelt. Steck durchkletterte ohne Seil Excalibur, den 350 Meter hohen Pfeiler in der Südwand der Wendenstöcke im Berner Oberland. Baumann von Arx fragt ihn, wie man bei einer solchen Unternehmung mit Angst umgeht, wie man das Grausen beim Blick hinunter oder hinauf bekämpfen kann. Steck antwortet, er habe nie runtergeschaut. Warum auch? «Dort oben, ganz oben, dort ist das Ziel. Um dort hinzugelangen, gehe ich einen Weg, und auf diesem Weg zählt nur das Jetzt. Jetzt bin ich hier. Jetzt hier. Gedanken, die vorauseilen, sind verschwendete Gedanken, weil unnötig. Die Zukunft kommt. Sehr oft ist sie abhängig von der Gegenwart. Und je bewusster wir in der Gegenwart das Richtige tun, desto besser schaut die Zukunft aus. Was ich heute mache, bestimmt, was morgen sein wird. Habe ich jetzt Angst, stürze ich. Habe ich jetzt keine Angst, klettere ich.»
Darin steckt wohl eine Lektion auch für das tägliche Leben. Mütter sind immer in Sorge, vor dem, was kommt, vor dem, was sie versäumen könnten. Besser wäre es, sich einfach nur auf die Gegenwart zu konzentrieren. Zen oder die Kunst, berufstätig und Mutter zu sein.
Mütterliche Amnesie (N. A.)
Wenn das Baby geboren wird, sterben ein paar Hirnzellen, heißt es. Ich stimme vorbehaltlos zu. Auch wenn australische Wissenschaftler vor kurzem das schwangerschaftsbedingte Schrumpfen des Hirns widerlegt und sogar festgestellt haben, dass Mutterschaft die weibliche Intelligenz fördere. Nun, meiner Erfahrung nach lagern Kinder sich in den Hirnwindungen ab wie im Alter der Kalk. Ja, ich würde sogar behaupten: Mit dem Nachwuchs wächst auch die Zahl der geistigen Aussetzer. Beweisen kann ich das nicht. Wohl aber erklären: Kinder funktionieren im Datenverkehr des mütterlichen Hirns wie Bus und Tram auf der Straße. Sie haben Vortritt, jederzeit und auf jeder Kreuzung. Das Resultat ist eine spezifische Form von Datenstau, auch mütterliche Amnesie, kurz Mamnesie genannt.
Ich zweifle zwar noch nicht ernsthaft an meinem Verstand, aber das übernehmen in den klassischen Mamnesie-Momenten gern meine Mitmenschen: Gestern zum Beispiel, da hab ich im Büro am Computer über einer Formulierung gebrütet, als mein Kollege, ein befreundeter Journalist, sich verabschiedete und mir einen schönen Abend wünschte. «Hmm», machte ich,
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