Macho Man: Roman (German Edition)
ichfünf Euro in Münzen zusammen. Natürlich fallen mir auch noch welche runter, sodass ich auf den Boden kriechen muss. Weil ich mich schlecht rasiert habe, bleibt ein Stück vom Tüll an meinem Kinn hängen. Es ertönen unschöne Geräusche reißenden Stoffes – und die Tänzerin ist noch nackter, als sie ohnehin schon war. Ich überlege kurz, welche meiner beiden Haftpflichtversicherungen ich bemühen soll. Die Sängerin verliert zum ersten Mal für ein paar Zehntelsekunden ihre professionelle Ausstrahlung und wirkt genervt. Dann gibt mir Cem einen Fünf-Euro-Schein, der mich vor eine schier unlösbare Aufgabe stellt: Wo soll ich ihn hinstecken? Glücklicherweise dehnt sich die Zeit, sodass ich alle Möglichkeiten durchgehen kann:
• Vorne in den Tüllrock. (Gar nicht gut, denn der ist mittlerweile so tief gerutscht, dass ich in die Nähe primärer Geschlechtsmerkmale greifen müsste.)
• Vorne in den Träger des BHs. (Auch problematisch, denn der BH ist so eng, dass ich hier direkten Kontakt mit sekundären Geschlechtsmerkmalen hätte.)
• Hinten in den BH. (Nicht schlecht, aber bei meinem Glück würde ich ihn dabei sicher aus Versehen öffnen.)
• Hinten in den Tüllrock. (Auch nicht schlecht, aber ich höre schon, wie mich meine imaginäre Alice Schwarzer als »Popograpscher« beschimpft.)
• An der Seite in den BH. (Schwierig, denn dann müsste ich mit der anderen Hand ihren Arm hochhalten, das würde sicher blöd wirken.)
• Ich mache aus dem Schein ein Röllchen und stecke es ihr ins Ohr. (Unfassbar, dass ich wertvolle Zeit mit so einem Schwachsinn vergeude.)
Schließlich entscheide ich mich, den Schein an der Seite in den Tüllrock zu stecken. Dabei muss ich leider die zweite Hand zu Hilfe nehmen und kann eine Popoberührung nicht mehr verhindern. Meine imaginäre Alice Schwarzer sagt zwar nichts, schüttelt aber enttäuscht den Kopf, während Cem lacht und begeistert applaudiert.
»Super, Eniste! Siehst du, war gar nicht so schwer.«
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Egal, ob das jetzt politisch korrekt war oder nicht – Hauptsache, ich hab's hinter mir ... Denke ich. Denn plötzlich nimmt die Tänzerin meine Hand und fordert mich zum Mittanzen auf. Schlimme Erinnerungen an einen Kurs in der Tanzschule Kasel schießen aus hinteren Hirnregionen nach vorne. Ich habe den Kurs nur besucht, um an Gaby Haas ranzukommen, aber schon bei meinem allerersten Versuch wurde meine mangelnde Begabung so offensichtlich, dass ich danach nie wieder eine Partnerin fand und deshalb immer mit dem Tanzlehrer üben musste. Wenn man das Ziel hat, ein cooles siebzehnjähriges Mädchen zu beeindrucken, sollte man es auf jeden Fall vermeiden, sich zu argentinischen Tangoklängen wie ein nasser Sack von einem übergewichtigen Sechzigjährigen durch die Gegend wirbeln zu lassen.
Diese schmerzliche Erinnerung ist genau das, was ich als Motivationsschub gebraucht habe, um jetzt vor einer Horde Türken und Araber mal eben einen lockeren Bauchtanz aus der Hüfte zu schwingen. Um die Tänzerin und mich hat sich ein Kreis gebildet, alle klatschen im Takt mit. Ich erhebe mich mühsam und ernte Applaus. So, womit soll ich anfangen? Arme, Beine, Hüfte – keine Ahnung. Ich muss an ein Zitat von Loriot denken: »Es muss gehen, andere machen es doch auch.« Tanzen an sich ist nicht gerade eine deutsche Spezialität, und Bauchtanz erst recht nicht. Wir sind halt das Volk der Dichter und Denker. Schopenhauer hat bestimmt auch beschissen getanzt, oder Nietzsche. Wer behauptet, dass Gott tot ist, kann auf keinen Fall locker die Hüften kreisen lassen. Das passt nicht zusammen. Wenn überhaupt, können wir Deutsche hüpfen und grölen. Zu Rammsteinmusik, da kommt die Bewegung ganz natürlich von innen heraus. Aber für orientalische Bauchtanzmusik fehlt uns die körperliche Software.
Jetzt stellt sich die Tänzerin direkt vor mich und wackelt so mit ihren Brüsten, dass die BH-Fransen meinen Brustkorb streifen. Da ich dummerweise immer noch nicht ohnmächtig werde, wird mir klar, dass ich irgendwas tun muss. Zum Glück fällt mir ein Videoclip ein, den ich in Antalya gesehen habe: Der türkischePopstar Tarkan nahm schnipsend die Arme in die Luft und schüttelte seinen Oberkörper. Tanzen kann ich nicht, aber ich kann imitieren. Ich konzentriere mich, dann ahme ich Tarkans Bewegungen nach. Johlen und Pfeifen geht durch die Menge. Das ermutigt mich, auch noch Tarkans flirtenden Machoblick zu imitieren. Noch mehr Johlen
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