Macho Man: Roman (German Edition)
unbedingt in die Top 100 der sympathischsten Zeitgenossen aufnehmen werden, versucht Rüdiger Kleinmüller, seine geballte Socializing-Kompetenz unter Beweis zu stellen:
»Sind Sie mit dem ICE aus Frankfurt gekommen?«
»Ja. In der Tat.«
»Das geht ja jetzt schneller als früher.«
»Viel schneller. Aber diesmal gab's einen Personenschaden.«
»Och nee...«
»Da hatte sich einer vor die Bahn geschmissen.«
»Oh.«
»Tja.«
»Ja.«
»Tja. Bekloppte gibt's überall.«
»Da sagen Sie was, Herr Pfaff.«
»Kann der nicht warten, bis der nächste Zug kommt?!«
Ewald Pfaff lacht, und Rüdiger Kleinmüller lacht pflichtschuldig mit. Er schaut Lysa und mich vorwurfsvoll an, und jetzt lachen auch wir. Es ist immer gut zu lachen, wenn der Auftraggeber einen Gag gemacht hat; das ist genau das, was mit Socializing gemeint ist. Dass der Gag menschenverachtend war – egal. Schon eine zynische Branche, die Werbung.
»Der Zug hat eine Vollbremsung gemacht – mir ist der ganze Kaffee über die Hose ... Zum Glück habe ich immer einen Ersatzanzug dabei... Ich meine, es gibt so viele Balken, an denen man sich aufhängen kann, da muss man doch nicht unbedingt den ICE-Betrieb stören.«
Ich würde einem Selbstmörder raten, aus einem Hochhaus auf Ewald Pfaff zu springen. Das würde seinem Tod immerhin einen Sinn geben. Als Lysa Ewald Pfaffs Augenzwinkern mit konsequentem Wegschauen beantwortet, spürt selbst Rüdiger Kleinmüller, dass das heutige Socializing irgendwie verkrampft ist, und beendet es nach 7 Minuten und 44 Sekunden – absoluter Minusrekord.
»Also, Herr Pfaff, worüber wollten Sie denn mit uns sprechen?«
»Ja, also zunächst mal vielen Dank für Ihren Vorschlag ...«
Unverschämtheit. Ich habe ein Drehbuch für einen Werbefilm geschrieben, und er nennt es »Vorschlag«. Das ist genau das Problem in der Werbebranche, dass man als Künstler mit schnauzbärtigen Bugs-Bunny-Krawattenträgern darüber diskutieren muss, was originell ist.
»... nur leider muss ich Ihnen sagen: Das geht überhaupt nicht. In diesem Spot wird behauptet, dass koffeinhaltiger Kaffee ungesund ist. Koffeinhaltiger Kaffee macht 95 Prozent unseres Umsatzes aus, da wären wir ja schön blöd, wenn wir Hunderttausende von Euros für Fernsehwerbung rausschmeißen, nur um unser eigenes Image kaputt zu machen.«
Rüdiger Kleinmüller schaut mich vorwurfsvoll an. Noch 'ne Unverschämtheit. Er hat das Drehbuch doch weggeschickt. Er fand es nicht nur in Ordnung, er fand es super. Und jetzt tut er so, als hätte ich Mist gebaut.
»Tja, ihr Lieben, ich würde vorschlagen, ihr kloppt die Idee mit dem Kaffeesatzlesen in die Tonne, geht rüber in euer Büro und brainstormt was Neues.«
Als wäre das nicht schon demütigend genug, setzt Ewald Pfaff noch einen drauf:
»Hervorragende Idee.«
Dazu lacht er auch noch, und Rüdiger Kleinmüller lacht mit. Ich sehe, dass Lysa genauso wütend ist wie ich. Wir stehen auf und trotten aus dem Konferenzraum. Natürlich hatte der Bugs-Bunny-Idiot recht. Aber darf er mich deshalb so geringschätzig behandeln, und dann noch vor Lysas Augen? Nein, darf er nicht.
»Ey, mir reicht's! Ich geh da jetzt rein und geig denen mal die Meinung!«
»Ach komm, Daniel! Mach das, was wir immer machen: zurück ins Büro gehen und zynische Witze darüber reißen, wie beschissen unser Leben doch ist.«
»Ich weiß nicht...«
»Pass auf, wir machen 'ne Top-10-Liste: die zehn lustigsten Methoden, jemanden mit seiner eigenen Bugs-Bunny-Krawatte zu erwürgen.«
»Lieb gemeint, aber ich will mich einfach nicht mehr so behandeln lassen.«
»Du lässt dich seit Jahren so behandeln. Dafür wirst du bezahlt.«
»Aber jetzt ist Schluss.«
»Hey, du bist Daniel. Du machst so was einfach nicht, okay?! Also komm.«
Lysa geht los in Richtung unseres Büros. Ich folge ihr einen Schritt weit, dann bleibe ich stehen. Irgendwas hält mich auf. Es ist ein seltsames Gefühl, das ich nicht kenne. Es fühlt sich an wie eine Mischung aus Trotz und Wut, aber doch irgendwie anders. Es durchdringt meinen ganzen Körper; es hindert mich definitiv daran, jetzt wie ein begossener Pudel zurück ins Büro zu trotten, und es ist... männlicher Stolz. Männlicher Stolz?! Ja, männlicher Stolz.
Ich wurde vor Lysas Augen gedemütigt, und ich werde ihr jetzt und hier zeigen, dass ich kein Weichei bin!
Ich drehe um und gehe zurück zum Konferenzraum. Ich kann Lysas verblüfften Blick in meinem Nacken spüren, und das treibt mich weiter. Ich bin
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