Macho Man: Roman (German Edition)
und Pfeifen. Schließlich ist die Musik zu Ende, und alle klatschen mir begeistert Beifall, sogar die Bauchtänzerin. Als ich mich wieder zu Cem setze, ist der fassungslos.
»Mensch, Eniste, du bist ja ein Tier! Unglaublich! Vallaha bravo.«
Ich hätte nie geglaubt, dass ich in diesem Leben noch mal für eine Tanzeinlage Beifallsstürme ernten würde. 20 Jahre nach dem Trauma in der Tanzschule Kasel nimmt mein Leben eine unerwartete positive Wendung. Ich bin ein Tier. Das ist in Cems Rangliste wahrscheinlich schon die Vorstufe zum Hengst. Ich fühle mich großartig – da sehe ich Aylin. O nein! Wann ist sie gekommen? Hat sie mich mit der Tänzerin gesehen? Ist meine Erektion schon abgeklungen?
»Na, ihr zwei?! Wie läuft der Männerabend?«
»Sehr gut. Perfekt. Äh ... Bist du jetzt gerade gekommen, oder hast du das eben gesehen?«
»Was hab ich gesehen?«
»Ach, nichts.«
Gott sei Dank. Sie hat nichts mitbekommen. Ich bin gerettet.
»Was meinst du denn, Daniel?«
»Er meint das hier!«
Jetzt hält Cem seiner Schwester das Handy unter die Nase. Er hat alles aufgenommen: wie mich die Frau antanzt, wie der Tüll an meinem Kinn klebt, wie ich ihr das Geld an den Rock stecke, wie ich tanze – alles. Er hat mir eine Falle gestellt, und ich bin reingetappt. Na bravo. Herzlichen Glückwunsch, Daniel. Das Video ist zu Ende. Aylin dreht sich zu mir und schaut mich an. Macht sie jetzt Schluss?
»Wow, du tanzt ja wie Tarkan!«
»Tja. Naja, ich hatte sein Video ... aber, äh, bist du nicht sauer jetzt?«
»Warum sollte ich sauer sein?«
»Naja, weil ich ... also, die Frau, und ich hab ihr das Geld, und überhaupt...«
»Das muss man machen. Das ist Tradition.«
»Aber, äh, also, wenn ich ganz ehrlich bin, also, das, äh, hat mich schon, also ich ... Ich muss es dir einfach sagen. Weil ich, ich will einfach nicht, dass etwas zwischen uns steht... also ›steht‹ im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Was denn, Daniel?«
»Naja, also, es hat mich schon irgendwie, also ... äh, erregt.«
Aylin lacht. Es ist ein Lachen von ganzem Herzen. Ein Lachen, in dem sehr viel Liebe steckt.
»Natürlich hat dich das erregt. Sie ist eine Frau, und sie war fast nackt. Und du bist ein Mann. Ich müsste mir eher Sorgen machen, wenn dich das nicht erregt hätte.«
»Und du bist nicht sauer jetzt?«
»Du bist süß, Daniel, unglaublich süß. Kein türkischer Mann würde sich deshalb überhaupt irgendwelche Gedanken machen.«
Die meisten türkischen Männer laufen auch nicht mit einer imaginären Alice Schwarzer im Kopf herum. 20 Aylin nimmt mich in den Arm und drückt mich fest an sich. Sensationell! Anstatt mir eine Szene zu machen, liebt sie mich jetzt noch mehr. Das ist das Paradies: Ich darf andere Frauen anschauen und anfassen, und ich darf sogar erregt sein – weil ich ein Mann bin. Ich muss nie wieder krampfhaft den Blick abwenden, wenn mir eine Frau im Minirock entgegenkommt. Ab heute darf ich eine feste Beziehung haben und gleichzeitig ein Mann sein. Ich liebe die türkische Kultur!
20 Das ist natürlich nur eine Vermutung.
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22
Rüdiger Kleinmüller hat Lysa und mich in den Konferenzraum gebeten. Der Auftraggeber ist da und will mit uns über das Drehbuch zum Koffeinfreier-Kaffee-Werbespot sprechen. Ich bin dabei, weil ich den Spot geschrieben habe; Lysa ist dabei, weil Rüdiger Kleinmüller glaubt, mit einer attraktiven Frau im Raum bei einem männlichen Auftraggeber leichter punkten zu können – womit er vermutlich recht hat.
Uns gegenüber sitzt Ewald Pfaff, ein Mann mit Bierbauch, üppigem Schnurrbart, weißem Hemd und Nadelstreifenanzug. Die Bugs-Bunny-Krawatte hat er sicher deshalb angezogen, um den verrückten Typen in der Werbefirma zu zeigen, was für ein spaßiger Geselle er doch ist.
Bei Gesprächen mit Kunden hält sich Rüdiger Kleinmüller immer fast sekundengenau an die Regel, die er vor Jahren von irgendeinem Business-Seminar mitgebracht hat: Zehn Minuten Socializing, dann geht's zur Sache. Das heißt, man soll exakt zehn Minuten lang so tun, als ob man sich privat näherkommt, um so eine entspannte Atmosphäre für das Businessgespräch zu schaffen. Nun grenzt es allerdings fast an eine Unmöglichkeit, eine entspannte Atmosphäre herzustellen, wenn einem ein Schnauzbartträger mit Bugs-Bunny-Krawatte gegenübersitzt, der unablässig mit einem Plastikstift auf sein digitales Notizbuch einhämmert.
Während Lysa und ich uns mimisch darüber verständigen, dass wir Ewald Pfaff nicht
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