Macho Man: Roman (German Edition)
am Tonfall und seinem Augenzwinkern erkenne, und an dem leicht genervten Lächeln der Mädels. In diesem Moment erfasst mich eine Kühnheit, von der ich selbst überrascht bin: Ich ziehe die Augenbrauen hoch und schaue den Türsteher vorwurfsvoll an. Der Türsteher scheint kurz zu überlegen, ob er mir die Nase mit der linken oder rechten Faust brechen soll. Es ist ein magischer Moment, in dem ich nicht die geringste Angst empfinde. Ich habe in der Türkei Soldaten in die Flucht geschlagen und gerade dreieinhalb Stunden den kalten Atem des Sensenmanns in meinemNacken gespürt – da kann mich doch so ein albernes Muskelhirn nicht beeindrucken. Jetzt passiert etwas sehr Interessantes: Der Türsteher hebt entschuldigend die Schultern und lässt uns passieren. Cem klopft mir bewundernd auf die Schulter:
»Respekt, Eniste ... Aus dir wird noch ein echter Türke.«
Auch von Emine und Yasemin kommen respektvolle Blicke. Mein Testosteronspiegel erreicht einen historischen Höchststand. Während Aylins Cousinen sofort auf der Toilette verschwinden, vermutlich um ihr Make-up zu verfeinern, erreichen Cem und ich den Hauptraum: eine von der Architektur her gotisch anmutende Fabrikhalle, in der aber alles weiß zu sein scheint: Die Backsteinmauern sind weiß gestrichen, die Tanzfläche ist weiß, dazu eine weiße Bar, an der mit weißem Kunstleder bezogene Barhocker stehen; etwas abseits weiße Stehtische mit weißen Tischdecken. Alles schimmert im Schwarzlicht leicht bläulich, sodass insgesamt eine keimfreie Mischung aus OP-Saal und einem Modern-Talking-Video der 80er-Jahre herauskommt. Ab einer Empore in etwa drei Metern Höhe ist dann alles in rotes Licht getaucht und wirkt irgendwie puffig.
Die Rollenverteilung ist eindeutig: Männer stehen cool am Rand, Frauen tanzen. Die Männer bestätigen durch ein beherztes Im-Takt-Nicken, dass auch sie die Musik wahrnehmen, marschieren etwa einmal pro Viertelstunde auf die Tanzfläche und stecken ihrer jeweiligen Freundin kurz die Zunge in den Mund, damit jeder mitkriegt, wer zu wem gehört.
Als ich meinen Blick über die Tanzfläche schweifen lasse, bin ich sicher, durch irgendeinen dummen Zufall in die Sex-Phantasie eines Opel-Corsa-Fahrers eingetaucht zu sein. Gut einhundert extrem leicht bekleidete junge Frauen bewegen ihre Körper auf eine Weise, die man gemeinhin als Aufforderung zur sofortigen Begattung bezeichnen würde. Die Röcke sind zum Teil so kurz, dass eine begriffliche Abgrenzung zum Gürtel schwierig wird. Durch das Schwarzlicht sehe ich diverse Unterhöschen wie Hinweisschilder aufleuchten.
Man soll mit dem Wort »Kulturschock« nicht leichtfertig umgehen, aber für das, was ich hier erlebe, gibt es keinen anderen Begriff. Türkische Frauen, das waren für mich immer diesegeschlechtslosen Wesen mit Kopftüchern und langen Mänteln, die zehn Schritte hinter ihren Männern hergehen und Tüten mit Gemüse schleppen. Aylin hat dieses Bild schon heftig ins Wanken gebracht, aber jetzt wird das Bild nicht nur von der Wand gerissen, sondern anschließend noch geschreddert und verbrannt. Was für mich der absolute Wahnsinn ist, scheint für Cem so normal zu sein, dass er nicht einmal hinguckt.
Allerdings bleibt mir wenig Zeit, mich mit der Rolle der Frau in der türkischen Kultur auseinanderzusetzen. Die urzeitlichen Hirnregionen haben in einem Maße die Kontrolle übernommen, dass ich nicht einmal mehr in der Lage wäre, einen Power Burger zu bestellen. Ich brauche dringend Alkohol, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Nach zwei schnellen Wodka-Red Bull fühle ich mich endgültig in einer surrealen Comic-Welt. Und in dieser Welt bin ich der Superheld. Ich sehe, wie Yasemin und Emine auf die Tanzfläche gehen, und folge ihnen. Ich praktiziere die Tarkan-Dance-Moves von neulich – und schon bildet sich um mich ein Kreis von Mädels, die mich anfeuern.
Der historische Rekord meines Adrenalinpegels fällt nur wenige Minuten nach der letzten Höchstmarke. Ich bin der King. 23 Ich hab's geschafft. Ich bin der Sultan, der von seinen hundert Haremsdamen umgarnt und bewundert wird... Allerdings nicht lange: Durch mein offensives Tanzverhalten sind einige der Männer eifersüchtig geworden und stürmen nun auf die Tanzfläche. Ein Typ, der den Türstehern an Muskelkraft in nichts nachsteht, baut sich vor mir auf, und selbst seine Brustmuskulatur, die sich durch das schwarze Glanz-Shirt abzeichnet, strahlt Wut aus. Er spricht drohende Worte, die ich leider aufgrund
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