Macho Man: Roman (German Edition)
nachgedacht habe, dass ich für eine Frau sexuell attraktiv sein könnte. Meine Waffen waren immer Liebenswürdigkeit, Einfühlsamkeit und Humor. Sexuelle Attraktivität war nie mein Terrain. Es war das Terrain von Türken und von Uwe Schäfer.
Uwe Schäfer hat Gaby Haas bekommen. Auf der Jahrgangsstufenfahrt nach Berlin. Die ganze Rückfahrt im Bus haben sie geknutscht, während ich eine Reihe hinter ihnen auf meinem Walkman The final countdown gehört habe – gut fünf Jahre nachdem es cool war, The final countdown zu hören. Ich habe durch die Ritze zwischen den Sitzen sogar gesehen, wie Uwe Schäfer Gaby Haas unter dem T-Shirt die Brüste massiert hat. In diesem Moment wäre ich gerne Uwe Schäfer gewesen. Sicher, er hat in der Deutschklausur eine Vier minus geschrieben, weil er die pantheistische Philosophie in Faust II nicht verstanden hat. Dafür hatte er irgendetwas, was ich nicht hatte und was der Schlüssel zu Gaby Haas war. Ich zwinkere mir selbst im Spiegel zu und habe das Gefühl, dass ich dabei bin, diesen geheimnisvollen Schlüssel endlich in die Hand zu bekommen. Nicht, dass ich ihn jetzt noch brauchen würde – ich habe ja alles, was ich will. Aber es kann ja nicht schaden, ihn zu haben.
»Eniste, alles in Ordnung?«
Cem reißt mich aus meinen Gedanken. Schnell ziehe ich mir die Satin-Hose an. Sie sitzt unglaublich eng. Geil. Dann das Langarm-Shirt mit den keltischen Zeichen. Geil. Dann noch Jacke und Schuhe, und raus.
»Wooooooooow! Eniste, Vallaha, du siehst super aus. Vallaha echt super, Eniste. So kannst du in die Disco.«
Cem ist begeistert, und Kenan pflichtet ihm bei:
»Vallaha, super, Eniste. Aber eins fehlt noch. Bir dakika.«
»Bir dakika?«
»Eine Minute.«
Die Minute dauert aber nur zehn Sekunden. Dann kommt Kenan mit einer Tube Wet-Gel zurück und verteilt den halben Inhalt irgendwie in meinen Haaren.
»So, jetzt kannst du in die Disco.«
Ich drehe mich zum Ganzkörperspiegel und habe das Gefühl, einen anderen Menschen zu sehen. Einen coolen Typen. Einen Aufreißer. Einen Sex-Gott. Ich lächle. Cem klopft mir auf die Schulter. Ich verspüre keine Schmerzen und wende mich an Kenan:
»Und, äh, vom Preis her, wie viel...?«
Kenan schnappt sich einen Taschenrechner, tippt zwei Minuten lang wild irgendwelche Zahlen ein und murmelt dabei vor sich hin:
»Der Anzug ist normal 500, aber ich gebe 20 Prozent normalen Rabatt, dann noch mal 50 Prozent Familienrabatt, dann 30 Prozent Sommerschlussrabatt, plus 19 Prozent Mehrwert, dann die Schuhe, normal 150, aber ich sage 100, dann 10 Prozent normaler Rabatt, 30 Prozent Familie, 15 Prozent Sommerschluss, plus 19 Mehrwert, das T-Shirt normal 60, ich sage 40, dann 15 normaler, 30 Familie, 25 Sommer, 19 Mehrwert, und die Unterhose ist mein Geschenk zur Verlobung, dann noch alles minus 10 Euro Rabatt für Neukunden, macht insgesamt 228 Euro 65, sagen wir 220.«
Ich denke, das ist ein gutes Angebot, und will meine EC-Karte geben, aber Cem stoppt mich und ich werde stummer Zeuge des folgenden Verhandlungsgesprächs:
»220? Bist du verrückt? Er ist kein Scheiß-Tourist, er ist Familie.«
»Hey, weißt du, wie teuer die Sachen im Einkauf sind?«
»Ja. Ich war hier, als der Händler kam.«
»Ach ja, stimmt.«
»Also, wie viel?«
»100.«
»50.«
»90.«
»50.«
»80.«
»50.«
»Vallaha, du bist krank. Okay, mein letztes Angebot: 51.«
»Okay. Jetzt kannst du zahlen, Eniste.«
Die beiden schlagen ein. Ich gebe Kenan 51 Euro, der mir im Gegenzug eine Lidl-Tüte reicht, in die ich meine alten Klamotten packen kann. Ich habe den Laden als studentenmäßiger Loser betreten und komme jetzt als cooler Stecher wieder heraus. Wenn die Styling-Show von Bruce Darnell nicht schon längst abgesetzt wäre, hätte er damit bestimmt 30 Minuten Sendezeit gefüllt. Als ich mich wieder auf den Beifahrersitz des BMW Cabrio schwinge, lehne ich instinktiv meinen Ellenbogen aus dem Fenster. Ich bin Generation Golf, fahre Ford Ka, aber jetzt passe ich einfach perfekt in ein BMW Cabrio.
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27
Um 23 Uhr 05 fahren wir in der Weidengasse los, um 23 Uhr 11 kommen wir in der Kalker Hauptstraße an. Es ist unmöglich, in sechs Minuten von der Weidengasse in die Kalker Hauptstraße zu gelangen. Aber manche unerklärlichen Phänomene muss man einfach akzeptieren. Cem parkt den Wagen in der zweiten Reihe, und wir gehen zu einem Nagelstudio, in dem sich gerade eine extrem gestylte junge Türkin, etwa Mitte zwanzig, krallenähnliche Vorrichtungen mit
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