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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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natürlich nicht, weil der Großteil der Familie nun einmal hier wohnt und man in Kölner Discos immer auf Familienmitglieder trifft. Nach längerer Diskussion einigt man sich schließlich auf Berlin. In Berlin wohnen zwar auch zwei Cousins, aber die sind gerade in Izmir. Ich schaue Cem erschrocken an.
    »Berlin??? Äh, gibt es hier in der Nähe auch ein Berlin?«
    »Nein, ich meine Berlin halt.«
    »Die Hauptstadt?! Wo mal diese Mauer war?!«
    »Ja klar.«
    »Und da willst du jetzt hinfahren.«
    »Klar, warum nicht?«
    »Weil das völlig bescheuert ist.«
    »Wieso?«
    »Das sind fast 600 Kilometer.«
    »570.«
    »Aber es ist nach elf! Da sind wir frühestens um sechs.«
    »Um drei.«
    Ich wage gar nicht, mir auszurechnen, mit welcher Geschwindigkeit man in dreieinhalb Stunden von Köln nach Berlin kommt. Yasemin hat ihr Werk an Emines Fingernägeln vollendet und schließt ihr Geschäft. Emine steigt nach hinten ins BMW Cabrio; da es sich um einen Zweitürer handelt, halte ich Yasemin höflich die Tür auf, damit sie sich neben ihre Cousine setzen kann.
    »Sorry, Daniel, aber mir wird hinten immer schlecht, ich muss vorne sitzen.«
    Ich setze mich also nach hinten. Neben mir eine 18-Jährige, die aus einer einzigen Ansammlung sexueller Schlüsselreize zu bestehen scheint. Wie soll ich das nur dreieinhalb Stunden aushalten? Ich spüre Emines nackten Schenkel durch den dünnen Stoff meiner Glanzhose. Ich atme schwer, flehe höhere Mächte um Hilfe an, und siehe da – die Hilfe wird mir zuteil: Meine Todesangst lenkt mich hervorragend vom sexuellen Begehren ab. Cem könnte Busfahrer in Antalya werden, er hat denselben Stil. Der einzige Unterschied ist, dass ein BMW deutlich schneller fährt als ein türkischer Minibus. Seit ich Aylin kennengelernt habe, häufen sich die Nahtoderfahrungen auf bedenkliche Weise.
    Autobahnschilder, Brücken und Dörfer fliegen irgendwie an mir vorbei, und der Wind bläst mir so in die Nase, dass ich nicht mehr einatmen muss, sondern nur noch ausatmen, aber das ist irgendwie schwierig, weil der Gegenwind zu stark ist. Das Ganze fühlt sich so an, wie ich mir einen schlechten LSD-Trip vorstelle: eine Mischung aus kurzen Visionen, Panik und verzerrter Realität.
    Emine ist genauso locker wie Aylin in Antalya und schickt mir flirtende Blicke, die zum Glück kein sexuelles Begehren mehr auslösen, weil ich mich darauf konzentrieren muss, trotz Todesangst einen coolen Gesichtsausdruck zu wahren. Glücklicherweise macht die Mischung aus Motorenlärm und Türk-Pop-Musik, die in voller Lautstärke aus den acht Yamaha-Boxen dröhnt, Konversation überflüssig. Ich sehe ständig Hindernisse auf uns zuschießen, denen Cem in letzter Sekunde ausweicht. Es ist wie in SpeedRacer oder anderen 3D-Computer-Rennspielen – mit dem Unterschied, dass »Game Over« in unserem Falle eine etwasdramatischere Bedeutung hätte. Erst hinter Hannover traue ich mich zum ersten Mal, für ein paar Sekunden die Augen zu schließen.
     
    Als ich wieder aufwache, ist es fünf vor drei, und ich sehe den Ostberliner Fernsehturm. Wir fahren irgendwo in der Nähe von Kreuzberg auf ein Fabrikgelände, in dessen Mitte ein altes Backsteingebäude steht. Aus den hohen Fenstern dringen flackernde bunte Lichter nach draußen. Cem parkt seinen BMW inmitten anderer teurer Autos. Während er das Verdeck schließt, korrigieren Emine und Yasemin sich gegenseitig ihre vom Wind zerzausten Frisuren mit Sprays und Gel-Tuben, die sie aus ihren silbernen Handtaschen hervorzaubern. Bevor wir in Richtung Eingang losmarschieren, richtet Emine auch meine Frisur und versenkt noch eine gute Vierteltube Gel. Da ich bei dieser Aktion freie Sicht in Emines nicht jugendfreien Ausschnitt habe, wird in den steinzeitlichen Hirnregionen der Überlebens- wieder vom Fortpflanzungsinstinkt verdrängt.
    Dann machen wir uns zu viert auf in Richtung Eingang, vor dem zwei Klischee-Türsteher ihren Job, böse zu gucken, erschreckend gut erledigen. Sie haben allein im rechten Unterarm mehr Muskeln als ich im gesamten Körper, und dass die Nähte ihrer schwarzen Maßanzüge nicht platzen, müsste von der Stiftung Warentest ein »sehr gut« einbringen.
    Ich versuche, noch aufrechter zu gehen, als ich es inzwischen ohnehin schon tue. Dass ich schon wieder knapp dem Tod entronnen bin, hat Endorphine freigesetzt, und ich fühle mich stärker und männlicher als je zuvor. Der eine Türsteher macht auf Türkisch eine anzügliche Bemerkung zu Emine und Yasemin, was ich nur

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