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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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sich. Auch Philip wäre heute mit heiler Haut davongekommen, wäre der andere nicht aus dem Nebel aufgetaucht und hätte ihn aufgehalten. Damit die Geschichte sich eben nicht mehr wiederholte. Damit man ihn tötete.
    Warum?
    Weil er sich nach zwanzig Jahren, die hinter ihm lagen, alles Leid ersparen wollte, was vor ihm lag. Er wollte nicht mehr retten, weder sich selbst noch andere. Wozu auch? Es führte zu nichts. Das war seine Botschaft aus der Zukunft.
    Insofern hatte er Philip – bittere Ironie des Schicksals – vielleicht doch beschützt: vor Ernüchterung und Verzweiflung, die nur eines bereithielt: die Dunkelheit des Todes.
    Resigniert ließ Philip seinen Kopf in den Schnee sinken. Seine Augenlider flackerten. Durch die Blitze tauchte ein Gesicht vor ihm auf. Lacie. Er tobte. Die Narbenkrater bebten wie Vulkane, die kurz vor dem Ausbruch standen. Offenbar ging ihm auf, wie groß der Fehler war, den er begangen hatte. Er schüttelte Philip am Revers seiner Jacke, ohne Rücksicht darauf, dass das Blut seinen teuren Zwirn befleckte. »Wo ist das Achat verborgen?« Speichel regnete aus seinem Mund. »Sagen Sie es mir.«
    »Er wird es Ihnen nicht sagen«, erklärte der andere.
    »Hören Sie auf«, sagte eine Stimme, seltsam vertraut.
    »Er wird sterben«, wiederholte der andere.
    »Wer hat Sie gefragt? Verschwinden Sie!«, schnauzte Lacie. Er war ganz nahe vor Philips Gesicht. »Sagen Sie es mir! Jetzt! Wo ist das Achat?«
    Abermals drangen dumpfe Schritte an Philips Ohr. Der Bundesgrenzschutz stürmte heran.
    Wie zur Bestätigung ließ Lacie von Philip ab. Dessen Kopf fiel unsanft auf den gefrorenen Boden zurück. Noch mehr Schmerzen.
    »Stehen bleiben!«, brüllte ein Mann. Es war der Sicherheitsbeamte aus dem Terminal.
    Eine andere Stimme rief nach einem Arzt.
    Philip schloss die Augen. Dunkelheit. Die Schmerzen schwanden. Nicht aber Verzweiflung und Wut. Er wusste nicht, ob er weinen sollte oder sich freuen. Was ihn mehr schmerzte als sein nahendes Ende, war, dass er sich um seine Entscheidung betrogen fühlte. Schließlich ging es um sein Leben. Wie konnte der andere bestimmen, ob er weiterleben wollte oder nicht? Dabei war die Antwort so einfach: Er konnte es. Denn er war Philip. Und Philip war er.
    Eine Stimme geisterte zu ihm heran. Zuerst noch von weit entfernt, als stehe ihr Urheber jenseits dieser Welt. Philip zitterte. Sein Körper bebte, begehrte auf gegen das Unvermeidliche. Die Stimme war nahe an seinem Ohr.
    »Philip«, sagte sie, warm und vertraut.
    Chris!, dachte er und öffnete die Augen.
     
     
    Berlin
     
    Philip erblickte das Gesicht einer jungen Frau. Es war nicht Chris. Grenzenlose Enttäuschung schwappte über ihn hinweg. Zu gerne hätte er noch einmal mit ihr gesprochen, ihr endlich alles erklärt. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er wollte nicht weinen. Er konnte es nicht verhindern.
    Sie wischte die Feuchtigkeit aus seinen Augenwinkeln. Wieder blickte er in ihr Gesicht. Große Augen. Weiche Züge. Ein geschwungener Mund. Ein vertrauter Anblick. Als schaute er in einen Spiegel.
    Der Traum rückte in sein schwächer werdendes Bewusstsein, jene Vision aus dem Irgendwo. Jetzt fiel ihm ein, was er die ganze Zeit vergessen hatte.
    »Du bist…«
    »Ich bin Beatrice«, sagte sie. Ein englischer Akzent mischte sich in ihr Deutsch.
    »Die Erstgeborene«, sagte der andere. Er stand neben ihnen. Philip musterte ihn erstaunt. Beatrice nickte.
    »Was soll das heißen?«, presste Philip hervor. Das Reden fiel ihm immer schwerer.
    »Dass du es nicht bist.«
    Philip überlegte. Auch das bereitete ihm Mühe. »Aber was ist mit meinen…«
    Beatrice schien seine Anstrengungen zu spüren, barg seinen Kopf zwischen ihren warmen Händen. Sie streichelte seine Stirn, legte dann zwei Finger an seine Lippen. »Sprich nicht.«
    Kommissar Bergers Kopf tauchte auf. Unter seiner Nase zwirbelte sich sein Schnauzbart in beide Richtungen. Die Enden waren zu Eis gefroren. Er lächelte grimmig. »Halten Sie durch.« Er drehte sich weg. »Wo bleibt der verdammte Arzt?«
    Ein Mann in Uniform sprach in sein Walkie-Talkie. »Wo bleibt der Arzt? Einen Arzt zum Flugfeld 3.«
    Weitere Beamte umringten die Leiche des Priesters. Am Ende seines Lebens hatte Kahlscheuer doch noch zurück zum Glauben gefunden. Aber was war das für ein Glaube gewesen? Einer, für den er Philips Tod in Kauf genommen hatte. Andere Beamte führten Lacie ab. Handschellen umschlossen seine Gelenke. Er würde hoffentlich nie wieder morden, im

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