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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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auf eine Periode vor meiner Geburt bezogen interpretierte. Und was weiß ich von Ländern, die ich nie gesehen habe? Ich sah sie nur auf der Karte, habe über sie gelesen, hörte von ihnen berichten. Ich kenne nur meine eigene Erfahrung; was bleibt, ist zweifelhafte Einmischung. Wenn ich mich selbst an Gottes Stelle setze und sage, dass ich die Welt geschaffen habe, kann mir nichts beweisen, dass ich im Irrtum bin.« Fichte behauptet, dass es nur Fichte gäbe, und Hans Müller, der es liest, kommt zu dem Schluss, dass es nichts außer Hans Müller gibt, wobei er nicht bemerkt, dass Fichte das gar nicht gesagt hat.
    Auf diese Weise wird dem Solipsismus ermöglicht, die Grundlage für eine gewisse Art von gesellschaftlichem Leben zu werden. Eine Anzahl von Irren, von denen jeder sich für Gott hält, kann lernen, sich gegenseitig höflich zu behandeln. Aber die Höflichkeit
    wird nur so lange dauern, wie jeder Gott seine Allmacht nicht durch andere Götter gefährdet sieht. Wenn Herr A. glaubt, er sei Gott, mag er die Behauptungen der anderen so lang dulden, als sie seinen Zwecken dienen. Wenn aber Herr B. wagt, sich ihm entgegenzustellen und den Beweis zu erbringen, dass er nicht allmächtig ist, wird das Herrn A.s Zorn entfachen, und er wird erkennen, dass Herr B. der Teufel oder einer seiner Diener ist. Herr B. wird natürlich das gleiche von Herrn A. glauben. Jeder wird Leute um sich scharen, und es wird zum Krieg kommen – zum theologischen Krieg, bitter, grausam und wahnsinnig. Statt Herr A. lese man Hitler, für Herrn B. Stalin, und man hat ein Abbild der heutigen Welt. »Ich bin Wotan!« sagt Hitler. »Ich bin der dialektische Materialismus!« sagt Stalin. Und da der Anspruch jedes der beiden von mächtigen Hilfsquellen in Gestalt von Armeen, Flugzeugen, Giftgasen und unschuldigen Enthusiasten unterstützt wird, bleibt die Verrücktheit der beiden unbemerkt.
    Nehmen wir weiter Nietzsches Kult des Helden, dem die »Jämmerlichen und Unfähigen« geopfert werden sollen. Der bewundernde Leser ist natürlich davon überzeugt, dass er selbst ein Held ist, während der Schuft Soundso, der durch skrupellose Intrigen weiter als er gekommen ist, zu den Jämmerlichen und Unfähigen gehört. Daraus folgt, dass Nietzsches Philosophie ausgezeichnet ist. Wenn aber Soundso sie auch liest und bewundert, wie kann man entscheiden, wer von beiden der Held ist? Offenbar nur durch Krieg. Und wenn einer von beiden den Sieg errungen hat, wird er weiter sein Recht auf den Titel dadurch beweisen müssen, dass er an der Macht bleibt. Um das zu tun, muss er eine mächtige Geheimpolizei schaffen; er wird in Furcht vor Ermordung leben, alle übrigen werden terrorisiert sein, und der Heroenkult wird damit enden, dass eine Nation zitternder Feiglinge entsteht.
    Ähnliche Schwierigkeiten entstehen mit der pragmatischen Theorie, nach der ein Glaube wahr ist, wenn seine Folgen angenehm sind. Angenehm für wen? Glaube an Stalin ist erfreulich für ihn, aber unerfreulich für Trotzki. Glaube an Hitler ist erfreulich für die Nazis, aber unerfreulich für die, die sie in die Konzentrationslager sperren. Nur nackte Gewalt kann die Frage entscheiden: Wer soll die erfreulichen Folgen verspüren, die beweisen, dass ein Glaube wahr ist?
    Machtphilosophie widerlegt sich selbst, wenn man ihre gesellschaftlichen Folgen in Betracht zieht. Wenn niemand meinen Glauben, ich sei Gott, teilt, führt er dazu, dass ich eingesperrt werde; wenn andere ihn teilen, führt er zu einem Krieg, der wahrscheinlich mein Untergang sein wird. Der Heroenkult ergibt eine Nation von Feiglingen. Glaube an den Pragmatismus führt, wenn er weit verbreitet ist, zur Herrschaft nackter Gewalt, die unerfreulich ist; daher ist, seinem eigenen Kriterium nach, Glaube an den Pragmatismus ein falscher Glaube. Wenn das gesellschaftliche Leben gesellschaftliche Wünsche befriedigen soll, muss es sich auf eine Philosophie stützen, die nicht aus der Machtliebe abgeleitet ist.

SIEBZEHNTES KAPITEL
DIE ETHIK DER MACHT
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    W ir haben uns auf den vorhergehenden Seiten so viel mit den Übeln befasst, die mit der Macht in Verbindung stehen, dass es natürlich scheinen würde, einen asketischen Schluss zu ziehen und als beste Lebensweise für das Individuum einen völligen Verzicht auf alle Versuche zu empfehlen, andere, sei es nun zum Guten oder Schlechten, zu beeinflussen. Dieser Standpunkt hat von jeher seit Laotse beredte und weise Befürworter gehabt; viele

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