Macht (German Edition)
Mystiker haben ihn vertreten, die Quietisten und jene, die persönliche Heiligkeit hochschätzten, indem man ihn eher als Geisteszustand denn als Aktivität betrachtete. Ich kann mich mit diesen Leuten nicht einverstanden erklären, obwohl ich zugebe, dass einige von ihnen in sehr wohltuendem Sinne tätig gewesen sind. Aber sie sind so gewesen, weil sie, obwohl sie glaubten, dass sie auf Macht verzichtet hätten, tatsächlich nur gewisse Formen der Macht aufgegeben hatten; wenn sie auf sie völlig verzichtet hätten, so würden sie nicht ihre Lehren verbreitet haben und nicht wohltätig gewesen sein. Sie verzichteten auf die Macht des Zwangs, aber nicht auf die Macht, die auf Überzeugung beruht.
Machtliebe im weitesten Sinne ist der Wunsch, imstande zu sein, beabsichtigte Wirkungen auf die Außenwelt, ob menschlich oder nichtmenschlich, zu erzielen. Dieser Wunsch ist ein wesentlicher Teil der menschlichen Natur, und in energischen Menschen ist er ein sehr großer und bedeutender Teil. Jeder Wunsch, der nicht augenblicklich befriedigt werden kann, bringt den Wunsch nach der Fähigkeit der Befriedigung hervor und damit eine Form der Machtliebe. Das trifft sowohl auf die besten wie auf die schlimmsten Begierden zu. Wenn man seinen Nächsten liebt, wird man sich Macht wünschen, um ihn glücklich zu machen. Alle Machtliebe verurteilen heißt daher, die Nächstenliebe verurteilen.
Es gibt allerdings einen großen Unterschied zwischen der als Mittel und der als Endzweck ersehnten Macht. Der Mensch, der Macht als ein Mittel ersehnt, hat zunächst irgendeinen anderen Wunsch und wird dann dazu geführt, sich die Stellung zu ersehnen, in der sein Wunsch erfüllt werden kann. Der Mensch, der Macht als Zweck ersehnt, wird sein Ziel der Sicherung der Macht entsprechend wählen. In der Politik zum Beispiel möchte ein Mann bestimmte Maßnahmen durchgeführt sehen und kommt so dazu, an öffentlichen Angelegenheiten Anteil zu nehmen, während ein anderer, der nur nach persönlichem Erfolg strebt, jedes Programm unterschreibt, das ihm ein solches Ergebnis am sichersten zu verbürgen scheint.
Die dritte Versuchung Christi in der Wildnis beleuchtet diesen Unterschied. Alle Königreiche der Erde werden ihm geboten, wenn er niederfällt und den Teufel anbetet; das heißt, man bietet ihm die Macht an zur Erreichung gewisser Ziele, aber nicht jener, die er vor sich sieht. Dieser Versuchung ist fast jeder moderne Mensch ausgesetzt, manchmal in grober, manchmal in subtiler Form. Er kann, obwohl er Sozialist ist, eine Stellung bei einer konservativen Zeitung annehmen; das ist eine verhältnismäßig grobe Form. Er kann an der Errichtung des Sozialismus mit friedlichen Mitteln verzweifeln und Kommunist werden, nicht weil er annimmt, dass das, was er wünscht, auf diesem Wege verwirklicht werden wird, sondern weil er glaubt, dass irgend etwas verwirklicht werden wird. Erfolglos zu vertreten, was er wünscht, scheint ihm sinnloser als erfolgreich zu vertreten, was er nicht wünscht. Wenn aber seine Wünsche, und zwar solche außerhalb des persönlichen Erfolgs, stark und bestimmt sind, wird es für seinen Machtsinn keine Befriedigung geben, bevor nicht diese Wünsche befriedigt sind, und um des Erfolgs willen seine Ziele zu ändern, mag ihm als apostatische Handlung erscheinen, die man als Verehrung des Teufels bezeichnen könnte.
Machtliebe muss, wenn sie wohltätig sein soll, mit einem Zweck verbunden sein, der nicht die Macht ist. Ich meine nicht, dass es keine Machtliebe um ihrer selbst willen geben dürfe, denn dieser Trieb wird im Lauf einer aktiven Laufbahn erweckt werden; ich meine, dass der Wunsch nach einem anderen Ziel so stark sein muss, dass Macht unbefriedigend ist, sofern sie nicht dieses Ziel näherrückt.
Es genügt nicht, dass es einen Zweck außerhalb der Macht gibt. Es ist notwendig, dass dieser Zweck, wenn er erreicht ist, dazu beiträgt, die Wünsche anderer zu befriedigen. Wenn man auf Entdeckung aus ist oder auf die Schaffung eines Kunstwerks oder auf die Erfindung einer arbeitssparenden Maschine oder auf die Versöhnung von bisher einander feindlich gegenüberstehenden Gruppen, wird der Erfolg, wenn man Erfolg hat, leicht zur Ursache der Zufriedenheit auch anderer werden. Das ist die zweite Bedingung, die die Machtliebe erfüllen muss, um wohltätig zu werden: Sie muss mit einem Zweck verbunden sein, der, ganz allgemein gesprochen, sich in Übereinstimmung mit den Wünschen der anderen Leute befindet, die von dem
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