Macht (German Edition)
Liberalen siegen sollten. Man kann nicht annehmen, dass er jemals bei Gemeindewahlen stimmte, obwohl er hier vielleicht die zur Diskussion stehenden Fragen verstanden hätte; diese Fragen konnten ihn nicht bewegen, weil sie nicht geeignet waren, Massenhysterie oder die Mythen, von denen sie sich nährt, zu erzeugen.
Es zeigt sich also folgendes Dilemma: Demokratie gibt einem Menschen das Gefühl, wirklich an der politischen Macht teilzuhaben, wenn die betreffende Gruppe klein, aber nicht, wenn sie groß ist; andererseits interessieren ihn die schwebenden Fragen, wenn die betreffende Gruppe groß, aber nicht, wenn sie klein ist.
Diese Schwierigkeit wird zum Teil vermieden, wenn die Wählerschaft stimmenmäßig, aber nicht geographisch bestimmt ist; eine wirklich wirksame Demokratie ist zum Beispiel in einer Gewerkschaft möglich. Jede Gruppe kann zusammentreten, um eine schwierige politische Frage zu klären; die Mitglieder ähneln einander nach Interesse und Erfahrung, und das ermöglicht eine fruchtbare Diskussion. Bei einer endgültigen Entschließung der ganzen Gewerkschaft kann also ein hoher Prozentsatz der Mitglieder die Empfindung haben, dass sie an ihr teilgehabt haben.
Diese Methode unterliegt jedoch deutlichen Beschränkungen. Viele Fragen sind so wesentlich geographisch bedingt, dass eine geographische Wählerschaft unvermeidlich ist. Öffentliche Körperschaften berühren unser Leben in so vielen Fragen, dass ein beschäftigter Mensch, der kein Politiker ist, in den meisten ihn betreffenden lokalen und nationalen Angelegenheiten nicht zum Handeln kommt. Die beste Lösung würde vielleicht eine Erweiterung der Methode des Gewerkschaftsangestellten sein, der gewählt wird, um ein bestimmtes Interesse zu vertreten. Gegenwärtig haben viele Interessen keine solchen Vertreter. Wenn die Demokratie im selben Maße psychologisch wie politisch existieren soll, so ist eine Organisation der verschiedenen Interessen erforderlich sowie ihre Vertretung auf dem Wege des politischen Verhandelns durch Männer, die sich eines durch die Zahl und die Begeisterung ihrer Wähler gerechtfertigten Einflusses erfreuen. Ich meine damit nicht, dass diese Vertreter das Parlament ersetzen sollten, aber dass dem Parlament durch sie wie durch einen Kanal die Wünsche der verschiedenen Gruppen von Bürgern zugeleitet werden sollten.
Ein föderalistisches System ist wünschenswert, wann immer die lokalen Interessen und Gefühle der Wählereinheiten stärker als die mit der Föderation verbundenen Interessen und Gefühle sind. Wenn es jemals eine internationale Regierung geben sollte, so müsste sie offenbar ein Bund nationaler Regierungen mit genau definierter Zuständigkeit sein. Es gibt bereits für bestimmte Zwecke internationale Behörden, zum Beispiel für die Post, aber diese Zwecke interessieren das Publikum nicht so sehr wie die Zwecke, um die sich nationale Regierungen kümmern. Wo diese Bedingung fehlt, wird die Bundesregierung versuchen, auf Kosten der Regierung der verschiedenen Einheiten an Kraft zu gewinnen. In den Vereinigten Staaten hat die Bundesregierung ständig auf Kosten der Staaten an Raum gewonnen, seitdem die Verfassung niedergelegt wurde. Die gleiche Tendenz zeigte sich in Deutschland von 1871 bis 1918. Selbst eine Weltbundesregierung würde, wenn sie, wie es geschehen könnte, in einen Bürgerkrieg um die Frage der Abspaltung verwickelt würde, im Falle des Sieges gegenüber den einzelnen nationalen Regierungen gewaltig an Stärke gewonnen haben. So sind der Wirksamkeit des Föderalismus als Methode sehr deutliche Grenzen gesetzt; innerhalb dieser Grenzen aber ist er wünschenswert und bedeutungsvoll.
Sehr weite Regierungsbezirke sind anscheinend in der modernen Welt ganz unvermeidlich; in der Tat ist für die meisten wichtigen Zwecke, besonders Frieden und Krieg, die ganze Welt das einzige entsprechende Gebiet. Die psychologischen Nachteile großer Gebiete – besonders das Gefühl der Ohnmacht beim Durchschnittswähler und seine Unkenntnis der meisten Fragen – müssen zugegeben und so weit wie möglich herabgemindert werden, teils, wie oben vorgeschlagen wurde, durch die Organisation der verschiedenen Interessen, teils durch Föderalismus oder Heimfall. Eine gewisse Unterordnung des Individuums ist eine unvermeidliche Konsequenz der vermehrten gesellschaftlichen Organisation. Wenn aber die Gefahr des Krieges gebannt wäre, würden lokale Fragen wieder mehr in den Vordergrund treten, und das politische
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