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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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Bestehen von unfreundlichem Fühlen und der Wunsch nach Überlegenheit. Solches Fühlen kann entweder direkt durch Religion und Moral oder indirekt vermindert werden, indem man wirtschaftliche und politische Umstände beseitigt, die dieses Fühlen gegenwärtig stärken – vor allem den Machtkampf zwischen Staaten und der damit verbundene Kampf um Reichtum zwischen großen nationalen Industrien. Beide Methoden sind notwendig: Sie stellen keine Alternativen dar, sondern ergänzen sich gegenseitig.
    Der Weltkrieg mit seinem Gefolge von Diktaturen hat viele dazu gebracht, alle Formen der Macht zu unterschätzen neben Militär-und Regierungsgewalt. Das ist eine kurzsichtige und ungeschichtliche Anschauungsweise. Wenn ich vier Männer nennen sollte, die mehr Macht hatten als sonst einer, würde ich Buddha, Christus, Pythagoras und Galilei nennen. Keiner von ihnen hatte die Unterstützung des Staates, bis seine Propaganda einen großen Teil des Erfolges gesichert hatte. Keiner von den vier hatte zur Zeit seines Lebens viel Erfolg. Keiner von den vier hätte das Leben der Menschen in solchem Maße beeinflusst, wenn Macht sein Hauptziel gewesen wäre. Keiner von den vier suchte Macht, die andere versklavt, sondern jene Macht, die sie befreit – im Falle der ersten beiden, indem sie zeigten, wie man die Begierden meistert, die zum Ehrgeiz führen, und dann, wie man Sklaverei und Unterdrückung besiegt; im Falle der anderen beiden, indem man den Weg zur Herrschaft über die Natur weist. Es ist letzten Endes nicht die Gewalt, die die Menschen regiert, sondern die Weisheit jener, die die gemeinsamen Sehnsüchte der Menschheit anrufen – Glück, inneren und äußeren Frieden und Verständnis für eine Welt, in der wir, nicht durch eigene Wahl, leben müssen.

ACHTZEHNTES KAPITEL
DIE ZÄHMUNG DER MACHT
    A ls er am Hange des Thai-Berges vorbeikam, begegnete Konfuius einer Frau, die bitterlich neben einem Grab weinte. Der Meister spornte das Tier und eilte ihr entgegen; dann sandte er Tselu hinüber, um sie auszufragen. >Deine Klage verrät<, sagte er, >dass du Leid um Leid erduldet hast.< Sie erwiderte: >So ist es. Einst wurde an dieser Stelle der Vater meines Gatten von einem Tiger getötet. Auch mein Gatte wurde getötet, und nun ist mein Sohn auf die gleiche Weise umgekommen.< Der Meister sagte: >Warum verlässt du nicht diesen Ort?< Die Antwort lautete: >Hier gibt es keine gewaltsame Regierung.< Da sagte der Meister später: >Denkt daran, meine Kinder: Eine gewaltsame Regierung ist schrecklicher als Tiger.«<
    Das Thema dieses Kapitels ist der Frage gewidmet, wie man eine Regierung errichten kann, die weniger schrecklich als Tiger ist.
    Das Problem der Zähmung der Macht ist, wie das obige Zitat zeigt, sehr alt. Die Taoisten hielten es für unlösbar und befürworteten die Anarchie; die Anhänger des Konfuzius glaubten an eine bestimmte ethische und regierungstechnische Erziehung, die die Machthaber in weisevoller Mäßigkeit und Mildtätigkeit verwandeln sollte. Zugleich kämpften in Griechenland Demokratie, Oligarchie und Tyrannei um die führende Stellung; Demokratie sollte ursprünglich den Missbrauch der Macht verhindern, brachte sich aber ununterbrochen selbst Niederlage auf Niederlage bei, indem sie der zeitweiligen Popularität eines Demagogen zum Opfer fiel.
    Plato suchte wie Konfuzius die Lösung in der Regierung von Männern, die zur Weisheit erzogen worden waren. Diese Ansicht ist von Mr. und Mrs. Sidney Webb neu belebt worden, die eine Oligarchie bewundern, in der die Macht jenen anvertraut ist, welche die »Berufung zum Führertum« haben. Zwischen Plato und den beiden Webbs hat die Welt Militärautokratie, Theokratie, erbliche Monarchie, Oligarchie, Demokratie und die Herrschaft der Heiligen ausprobiert – die letztere Form ist nach dem Versagen von Cromwells Experiment in unseren Tagen von Lenin und Hitler neu belebt worden. All dies beweist, dass unser Problem noch nicht gelöst worden ist.
    Jedem, der Geschichte oder die Natur des Menschen studiert, muss es klar sein, dass die Demokratie, wenn auch keine völlige Lösung, so doch den wesentlichen Teil einer Lösung darstellt. Die ganze Lösung kann nicht gefunden werden, wenn wir uns auf politische Bedingungen beschränken; wir müssen die Wirtschaft, die Propaganda und die von Umständen und Erziehung beeinflusste Psychologie in Rechnung stellen. Unser Thema scheidet sich so in vier Abschnitte: 1. politische Bedingungen, 2. wirtschaftliche Bedingungen, 3.

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