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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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propagandistische Bedingungen, 4. psychologische und pädagogische Bedingungen. Wir wollen in dieser Reihenfolge vorgehen.
     
    1. Die Verdienste der Demokratie sind negativer Natur: Sie sichert keine gute Regierung, sondern verhindert bestimmte Übel. Solange die Frauen keinen Anteil an politischen Dingen nahmen, bestimmten verheiratete Frauen nicht über ihr Eigentum und nicht einmal über das, was sie selber verdienten; eine Arbeiterin, die einen betrunkenen Mann hatte, konnte bei niemandem Hilfe finden, wenn er sie davon abhielt, ihren Lohn zur Erhaltung ihrer Kinder zu verwenden. Das oligarchische Parlament des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts gebrauchte seine legislative Gewalt, um den Wohlstand der Reichen auf Kosten der Land-und Stadtarbeiter zu erhöhen. Nur die Demokratie hat das Gesetz daran gehindert, die Gewerkschaftsbewegung unmöglich zu machen. Ohne die Demokratie wären Westamerika, Australien und Neuseeland von einer halbservilen gelben Bevölkerung bewohnt, die von einer geringen weißen Aristokratie regiert werden würde. Die Übel der Sklaverei und der Leibeigenschaft sind bekannt, und wo immer eine Minderheit über ein sicheres politisches Machtmonopol verfügt, kann die Mehrheit früher oder später leicht in Sklaverei oder Leibeigenschaft absinken. Die Geschichte zeigt, wie man übrigens erwarten konnte, dass Minderheiten nicht mit der Vertretung der Interessen von Mehrheiten betraut werden dürfen.
    Noch heute ist eine Tendenz so stark wie in früheren Zeiten, anzunehmen, eine Oligarchie sei bewunderungswürdig, wenn sie aus »guten« Männern bestünde. Die Regierung des römischen Reiches war »schlecht« bis auf Konstantin und wurde dann »gut«. Im Buch der Könige gibt es jene, die vor dem Auge des Herrn recht handeln, und jene, die Übel tun. In der englischen Geschichte, wie man sie den Kindern beibringt, gibt es »gute« Könige und »schlechte« Könige. Eine Oligarchie von Juden ist »schlecht«, aber eine von Nazis ist »gut«. Die Oligarchie der zaristischen Aristokraten war »schlecht«, aber die der Kommunistischen Partei ist »gut«.
    Diese Haltung ist erwachsener Menschen unwürdig. Ein Kind ist »artig«, wenn es folgt, und »unartig«, wenn es nicht folgt. Wenn es erwachsen ist und ein politischer Führer wird, behält es die Ideen des Kinderzimmers zurück und definiert als die »Guten« jene, die Befehlen gehorchen, und als die »Bösen« solche, die ihnen Widerstand leisten. Infolgedessen besteht unsere eigene politische Partei aus »guten« Leuten und die gegnerische aus »schlechten«. Eine »gute« Regierung ist eine Regierung unserer Gruppe, eine »schlechte« ist eine Regierung der anderen Gruppe. Die Montagues sind »gut«, die Capulets »schlecht« oder umgekehrt.
    Wird ein solcher Gesichtspunkt ernst genommen, so macht er das gesellschaftliche Leben unmöglich. Nur Gewalt kann entscheiden, welche Gruppe »gut« und welche »schlecht« ist, und die getroffene Entscheidung kann in jedem Augenblick durch einen Aufstand gefährdet werden. Keine Gruppe wird, wenn sie zur Macht kommt, sich um die Interessen der anderen kümmern, ausgenommen in-. sofern, als sie von der Furcht vor wachsender Empörung befallen ist. Wenn das gesellschaftliche Leben irgendwie besser als eine Tyrannei sein soll, erfordert es eine gewisse Unparteilichkeit. Da aber in vielen Dingen kollektives Handeln erforderlich ist, ist dann die einzige anwendbare Form der Unparteilichkeit die Herrschaft der Mehrheit.
    Wenn aber die Demokratie auch notwendig ist, so ist sie doch keineswegs die einzige politische Bedingung für die Zähmung der Macht. Es ist in der Demokratie der Mehrheit möglich, eine brutale und völlig unnötige Tyrannei über eine Minderheit auszuüben. Zwischen 1885 und 1922 war die Regierung des Vereinigten Königreiches (mit Ausnahme des Ausschlusses von Frauen) demokratisch, tat aber nichts, um die Unterdrückung in Irland zu verhindern. Nicht allein eine nationale, sondern eine religiöse oder politische Minderheit kann verfolgt werden. Schutz für die Minderheiten, soweit er mit einer ordnungsgemäßen Regierung in Übereinstimmung zu bringen ist, stellt einen wesentlichen Teil der Zähmung der Macht dar.
    Das verlangt eine Analyse der Angelegenheiten, in denen die Gemeinschaft als Ganzes zu handeln hat, sowie jener Dinge, für die eine Uniformität nicht nötig ist. Probleme, bei denen sich am deutlichsten eine Kollektiventscheidung aufdrängt, sind solche von

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