Macht (German Edition)
einen erzeugt natürlich die gleiche Stimmung auf der anderen Seite; die Folge ist Kampf bis aufs Messer, bei dem alles dem Sieg untergeordnet wird. Während des Kampfes erlangt die Regierung aus militärischen Gründen despotische Macht; wenn sie schließlich den Sieg davonträgt, braucht sie zunächst ihre Macht, um zu zerschmettern, was vom Feind übriggeblieben ist, dann, um die Dauer ihrer Diktatur über die eigenen Anhänger zu sichern. Das Ergebnis ist sehr verschieden von dem, was die Enthusiasten in ihrem Kampf bezweckt hatten. Wenn auch der Enthusiasmus bestimmte Ergebnisse erzielen kann, so doch kaum jemals die, die er gewünscht hat. Die Kollektivbegeisterung bewundern heißt rücksichtslos und unverantwortlich sein, denn ihre Früchte sind Sturheit, Krieg, Tod und Sklaverei.
Krieg ist der hauptsächliche Förderer des Despotismus und das größte Hindernis für die Errichtung eines Systems, in dem unverantwortliche Macht soweit wie möglich vermieden wird. Die Verhütung des Krieges ist daher ein wesentlicher Teil unseres Problems – ich möchte sagen, der wesentlichste. Ich glaube, dass die Welt, wenn sie einmal von der Kriegsfurcht befreit sein würde, unter welcher Regierungsform und unter welchem Wirtschaftssystem es auch sei, Mittel und Wege finden würde, die Wildheit ihrer Herrscher zu beugen. Andererseits fördert jeder Krieg, aber besonders der moderne Krieg, die Diktatur, indem er die Schüchternen veranlasst, sich nach einem Führer umzusehen, und indem er die kühneren Geister aus einer Gesellschaft in ein Pack verwandelt.
Das Risiko des Krieges verursacht eine bestimmte Massenpsychologie, und umgekehrt vermehrt diese Psychologie, wo sie besteht, das Risiko des Krieges wie auch die Möglichkeiten des Despotismus. Wir müssen daher die Erziehungsmethoden untersuchen, die die Gesellschaft weniger anfällig für kollektive Hysterie machen und sie befähigen, erfolgreich im demokratischen Sinne zu wirken.
Wenn die Demokratie Erfolg haben soll, so müssen in weiten Kreisen zwei Eigenschaften vorhanden sein, die auf den ersten Blick in zwei einander entgegengesetzte Richtungen zu streben scheinen. Einesteils müssen die Menschen ein bestimmtes Selbstvertrauen und eine gewisse Bereitschaft, zu ihrem eigenen Urteil zu stehen, besitzen; es muss politische Propaganda von verschiedenen Gesichtspunkten aus geben, an der viele Menschen Anteil nehmen. Aber andererseits müssen die Leute bereit sein, sich der Entscheidung der Mehrheit zu fügen, wenn sie ihnen entgegensteht. Eine von diesen Bedingungen kann mangeln: Die Bevölkerung kann zu unterwürfig sein und einem entschlossenen Führer in die Diktatur folgen; oder jede Partei kann zuviel Selbstbehauptung zeigen und als Ergebnis die Nation in Anarchie versinken.
Was Erziehung mit dieser Sache zu tun hat, kann man von zwei Gesichtspunkten aus betrachten: erstens in Beziehung zu Charakter und Gemütsbewegungen; zweitens in Beziehung zur Schulung. Wir wollen mit dem ersten beginnen.
Wenn die Demokratie arbeitsfähig sein soll, muss die Bevölkerung soweit wie möglich frei von Hass und Zerstörungslust und ebenso von Furcht und Unterwürfigkeit sein. Diese Gefühle können durch politische oder wirtschaftliche Umstände verursacht werden, was ich aber untersuchen möchte, ist der Anteil, den die Erziehung an der größeren oder geringeren Empfindlichkeit der Menschen für solche Gefühle hat.
Manche Eltern und Schulen beginnen mit dem Versuch, den Kindern völligen Gehorsam beizubringen, ein Versuch, der entweder einen Sklaven oder einen Empörer hervorbringen muss, von denen weder der eine noch der andere in der Demokratie erwünscht ist. Was die Wirkungen einer strengen Disziplin angeht, so wird mein Standpunkt von allen europäischen Diktatoren eingenommen. Nach dem Kriege gab es in fast allen Ländern Europas eine Anzahl freier Schulen, ohne zu viel Disziplin oder zu viel Respekt vor den Lehrern; aber die Militärautokratien mit Einschluss der Sowjetunion haben nach und nach jede Freiheit in den Schulen unterdrückt und sind zum alten Drill zurückgekehrt sowie zu der Praxis, den Lehrer als Miniaturführer oder -duce zu behandeln. Die Diktatoren, möchten wir hinzufügen, betrachten alle eine gewisse Freiheit in der Schule als Vorbereitung für die Demokratie und die Autokratie in der Schule als natürliches Vorspiel zur Autokratie im Staat.
Jeder Mann und jede Frau in einer Demokratie sollten weder Sklaven noch Empörer, sondern Bürger sein,
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