Macht (German Edition)
irrationalen Glaubens führend waren. Die Erziehung sollte der natürlichen Glaubensseligkeit und der natürlichen Ungläubigkeit der Unerzogenen entgegenarbeiten: der Gewohnheit, eine emphatische Feststellung ohne Beweise zu glauben und einer nicht emphatischen Feststellung, selbst wenn sie von den besten Gründen begleitet wäre, nicht zu glauben. Ich würde in den untersten Klassen mit zwei Arten von Süßigkeiten beginnen, zwischen denen die Kinder wählen könnten: einer sehr guten Art von Bonbons, die von einer kalten und genauen Feststellung ihrer Bestandteile empfohlen wird, und einer sehr schlechten Art, die von den besten Reklamefachleuten mit der größten Geschicklichkeit angepriesen wird. Ein wenig später würde ich sie zwischen zwei Orten für einen Ferienaufenthalt wählen lassen: einem hübschen Ort, der auf einer Karte zu sehen ist, und einem hässlichen Ort, der von herrlichen Plakaten empfohlen wird.
Der Geschichtsunterricht müsste in einem ähnlichen Geiste erteilt werden. Es hat in der Vergangenheit berühmte Redner und Schriftsteller gegeben, die mit dem Anschein großer Weisheit Dinge verteidigten, die heutzutage niemand mehr für richtig halten kann: die Wirklichkeit von Zauberei, die Wohltätigkeit der Sklaverei und so weiter. Ich würde die Jugendlichen veranlassen, solche Meister der Beredsamkeit kennenzulernen und zugleich ihre Rhetorik und ihre Unsinnigkeit zu bewundern. Allmählich würde ich auf die Gegenwart zu sprechen kommen Gewissermaßen als Nachtisch für ihren Geschichtsunterricht würde ich ihnen vorlesen, was man gerade über Spanien sagt (oder was immer gerade im Moment am meisten zur Debatte steht) – zunächst in der »Daily Mail« und dann im »Daily Worker«; und dann würde ich sie auffordern herauszufinden, was in Wirklichkeit geschah. Denn unzweifelhaft gibt es für einen Bürger in einer Demokratie wenige nützlichere Dinge als die Geschicklichkeit, beim Lesen von Zeitungen die Wahrheit zu entdecken. Zu diesem Zwecke wäre es lehrreich, die Zeitungen in kritischen Momenten während des Weltkriegs mit dem zu vergleichen, was später in der offiziellen Geschichte geschrieben wurde. Und wenn der Wahnsinn der Kriegshysterie, wie er in den Zeitungen der Zeit zum Vorschein kommt, den Schülern unglaublich erscheint, sollte man ihnen sagen, dass sie alle, wenn sie nicht ständig um ein ausgewogenes und vorsichtiges Urteil bemüht sein würden, über Nacht einem ähnlichen Wahnsinn zum Opfer fallen könnten, beim ersten Mal, wenn die Regierung zu Terror und Mordlust aufstacheln würde.
Ich will allerdings keineswegs eine rein negative emotionelle Haltung predigen; ich behaupte nicht, dass jedes starke Gefühl einer destruktiven Analyse unterworfen werden sollte. Ich empfehle diese Haltung nur in Bezug auf solche Stimmungen, die die Grundlage für kollektive Hysterie bilden, denn es ist kollektive Hysterie, die Kriegen und Diktaturen Bahn bricht. Weisheit aber ist nicht rein intellektueller Art: Der Intellekt kann führen und den Weg weisen, aber er zeugt nicht die Kraft, die zur Aktion führt. Die Kraft muss aus den Stimmungen hergeleitet werden. Stimmungen, die wünschenswerte gesellschaftliche Folgen zeitigen, werden nicht so leicht hervorgebracht wie Hass und Wut und Furcht. Bei ihrer Herausbildung hängt viel von der frühen Kindheit ab, viel auch von wirtschaftlichen Umständen. Etwas allerdings kann im Laufe der gewöhnlichen Erziehung getan werden, um besseren Gefühlen Boden zu verschaffen und zu verwirklichen, was dem menschlichen Leben Wert verleiht.
Das ist in der Vergangenheit eines der Ziele der Religion gewesen. Die Kirchen hatten aber auch andere Ziele, und ihre dogmatische Grundlage verursacht Schwierigkeiten. Jenen, für die die traditionelle Religion nicht mehr möglich ist, stehen andere Wege offen. Einige finden, was sie brauchen, in der Musik, andere in der Dichtung. Bei anderen wiederum dient die Astronomie dem gleichen Zweck. Wenn wir über Größe und Alter des Sternenalls nachdenken, verlieren die Kontroversen dieses nicht sehr wichtigen Planeten etwas an Bedeutung, und die Erbitterung unserer Streitgespräche erscheint uns ein bisschen lächerlich. Und wenn wir uns von dieser negativen Bewegung frei gemacht haben, können wir durch Musik oder Dichtung, Geschichte oder Wissenschaft, Schönheit oder Schmerz besser erkennen, dass die wirklich wertvollen Dinge im Leben individueller Art sind, nicht von der Art der Ereignisse auf einem Schlachtfeld
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